Wie wir mit der Karma – Ökonomie eine andere Wertigkeit schaffen können
Ich arbeite gern. Ich könnte eigentlich immer arbeiten. Eine Arbeit, die ich selbst wähle, die aus mir selbst heraus entsteht, die mich erfüllt und auf ein Du ausgerichtet ist. Ich schreibe, lese, denke, texte, vernetze, coache, berate. Das ist cool und seitdem ich das mache, bin ich ein anderer Mensch. Ich bin viel offener, mutiger, kann viel besser mit Menschen Kontakt haben als früher, mich vernetzen, kommunizieren, mit anderen lachen und Spaß haben und irgendwie mit all dem sogar noch etwas bewirken. Das ist echt cool. Wenn da nicht dieser lästige Existenzdruck wäre und die Zahlen, die sich merklich von schwarz in Richtung orange und irgendwann in ein leuchtendes Rot auf meinem Kontoauszug verwandeln.
Was tun? Mit Geld hatte ich schon immer meine Probleme. Wenn ich welches hatte, war es o.k., dann habe ich es ausgegeben – selten für Luxus – den einzigen Luxus, den ich mir wirklich mal gegönnt habe, waren Klamotten aus Naturfasern und meine geliebten Wanderreisen mit Wikinger– super teuer (für mich) – aber einfach Reisen ins Glück, das ich mir in diesem Fall tatsächlich „erkaufen“ konnte. Aber es kam auch vor, dass ich Geld einfach so in den Sand setzte: Teure Fitness-Studios, die ich sponserte, ohne sie je von innen gesehen zu haben: Du müsstest mal … Das würde Dir bestimmt gut tun… , naja, man kennt das mit Wunsch und Wirklichkeit, Vernunft und Lustgefühl. Oder wenn ich im Winter auf einem Bahnsteig stand, um eine Reise anzutreten – die Beine schon bis zu den Kniekehlen abgestorben und auf der Informationstafel der Bahn sich der Zugankunftszeiger von 10 Minuten Verspätung – zu 20 Minuten Verspätung – 60 Minuten Verspätung und schließlich der Ansage „Wir bedauern, aber dieser Zug wird leider ausfallen“ – verschoben. Dann kam es schon mal vor, dass ich weiterem Stress und vermeintlichen Grippevirenangriffen dadurch entfloh, dass ich wieder umkehrte und 500 EUR einfach mal so in den Sand setzte. Mein Verhältnis zu Geld? Es besteht nicht wirklich.
Und nun soll ich meine Flowgefühl-Arbeit für Geld zu Markte tragen und einen Preis bestimmen. Und hier beginnt das Dilemma. Solange ich „fremdbestimmt“ arbeiten ging, um mal das alte linke Wort in den Text zu schreiben, ging das so einigermaßen. Zumindest wusste ich immer, wann ich unterbezahlt war und das war meistens der Fall. Ich war unterbezahlt, weil ich sah, welchen Umsatz das Unternehmen genierte im Verhältnis zu dem, was davon auf meinem Konto landete. Ich war unterbezahlt im Verhältnis zu der Lebenszeit, die ich vergeudete, während ich nur für meine Existenzsicherung arbeitete. Ich war unterbezahlt, weil ich mich oft langweilte mit dem, was ich tat. Ich hatte schon Überlegungen angestellt, ob man für Langeweile und Unausgelastetsein nicht Schadensersatz fordern konnte und wie hoch dieser wohl ausfallen würde. Und schließlich war ich unterbezahlt, weil ich es – zumindest im sozialen und öffentlichen Sektor – mit Führungskräften zu tun hatte, die vor allem versuchten mich auszubremsen, mich zu kontrollieren, mich in die Rolle der Untergebenen zu zwingen, mich ruhigzustellen und mich schließlich schikanierten, wenn alles andere nicht fruchtete. Für die zusätzliche Kraft und Zeit, die ich dafür aufbringen musste, diesen Versuchen etwas entgegenzusetzen, hätte ich eigentlich ein Managergehalt bekommen müssen und für meine Eigenkündigungen entsprechende Abfindungen.
Jetzt bin ich frei und bestimme selbst meinen Preis. Was ist meine intrinsische Motivation in Geld gemessen wert? Wie drückt sich das Flowgefühl, das ich empfinde, wenn ich schreibe in Zahlen aus? Welchen Preis muss ich nehmen, wenn ich Menschen auf der Suche nach ihrem Weg begleite? Wenn wir uns gemeinsam auf Spurensuche begeben, verlassen wir Zeit und Raum – es entsteht ein Fluss – vielleicht schon zu Beginn der Stunde, vielleicht aber auch erst am Ende… Suchbewegungen sind nicht manipulierbar – wann der Prozess des Öffnens für etwas Neues einsetzt, nicht steuerbar. Und dann rattert die Uhr und sagt: Schluss. Wenn wir weitermachen wollen, kostet das mehr Geld. SO – kann es nicht gehen! So bleiben wir in dem gefangen, aus dem wir heraus wollen.
Früher sagte man: Das ist ein Frauenproblem. Männer können immer ganz klar ihren Preis benennen. Frauen wissen nicht, was sie wert sind. Frauen verkaufen sich immer unter Preis. Mhm. Ich bin eine Frau und ich weiß ziemlich genau, was ich mir wert bin. Ich kann es halt nur nicht in Zahlen ausdrücken. Und ich will es auch nicht in Zahlen messen. Ich liebe mein Leben, ich liebe mein Tun, ich liebe mein Denken. Wie soll ich denn das in Zahlen meißeln? Ich liebe mein Leben für eine Million Euro – oder eher für eine Milliarde Euro? Puh, ist das nicht ein bisschen wenig oder doch zu viel? Und: Wer bezahlt mir denn die Million oder Milliarde?
In der Postwachstumsbewegung wird mit neuen Preis/Leistung/Wert-Modellen experimentiert, um dieses Dilemma zu durchbrechen. Wie könnte die Bezahlung für eine intrinsische Arbeit, eine Arbeit, die man wirklich, wirklich machen will, aussehen?
- Wir machen alles ohne Geld
Das ist eine tolle Sache. Eigentlich meine Lieblingsidee. So würde ich am allerliebsten arbeiten. Aber noch haben wir kein Grundeinkommen und das Neue, das da heran wächst, fußt auf dem alten System. Ich brauche schlicht und einfach Geld, um meine Miete zu zahlen und was es sonst noch braucht, um meinen biologischen Körper zu erhalten. Als Modellversuch – super Idee! Wir müssen experimentieren, Neues ausprobieren, um es auf Tauglichkeit zu prüfen. Tauglich auch für eine Massengesellschaft, die wir nun einmal haben. Wir leben nicht in Enklaven. Natürlich gab und gibt es immer Aussteiger, die es schaffen, weitgehend ohne Geld zu leben. Aber das sind eben Aussteiger – und ich möchte eigentlich nicht aussteigen.
- Pay-what-you-want
Pay-what-you-want bedeutet, dass nicht mehr ich den Preis festsetze, sondern mein Kunde bestimmt den Wert meiner Arbeit, in dem er das bezahlt, was er kann oder will. Eine gute Idee, dachte ich, bis ich es ausprobiert habe. Der Deal ging ziemlich schief. Denn plötzlich hatte meine Kundin das Problem und nicht mehr ich. Jetzt musste sie meinen Wert bestimmen. Vielleicht war ihr meine Arbeit eine Menge wert, aber sie hatte schlicht und einfach gar nicht das Geld, um mich wertentsprechend zu entlohnen. Also blieb sie unter dem Wert, den sie gern gezahlt hätte. Ein ziemlich blödes Gefühl. Hey, ich würde dir ja gerne 80 EUR zahlen, aber ich habe nur 20 EUR. Für mich änderte sich bei dem neuen Modell auch nicht wirklich was. Ich werde meinen inneren Preis/Leistungsdruck nicht los – ich verlagere ihn nur. Jetzt bin ich nicht mehr gestresst, weil ich für eine bestimmte Summe innerhalb einer bestimmten Zeit etwas bestimmtes leisten muss. Jetzt denke ich: Hoffentlich bekomme ich genug Geld, um wenigstens die Raummiete bezahlen zu können und einen Entschädigungsaufwand. Da ging es mir vorher besser, als ich den Preis selbst bestimmen konnte! Hinzu kommt, dass Menschen, die noch voll im kapitalistischen Preis-Leistungs-Verhältnis stecken, sowie denken: Wenn es sich nicht in Zahlen messen lässt, taugt es auch nichts.
Das Pay-what-you-want- Prinzip mag sicher ein guter Gedanke sein, um überhaupt mal das Preissetzungsgefüge zu durchbrechen, aber als neue Form der Preisgestaltung taugt es nicht.
- Tauschen
Tausche Coaching gegen Handwerk. Ja, auch das ist eine gute Idee. Meistens bin ich nämlich sogar zu blöd, eine Birne in einer Lampe auszutauschen. Seit einiger Zeit herrscht in meiner Küche Finsternis. Erst ging die Deckenlampe kaputt – eine Röhrenlampe, die sehr helles Licht spendet – ideal für jemanden wie mich, die leidenschaftlich gern kocht. Ich versuchte den Ring herauszuziehen, herauszudrehen, herauszureißen – nichts. Er rührt sich nicht. Gut. Dann also die Stehlampe in die Küche. Das ging ein paar Wochen gut, bis der Starter kaputt ging. Mittlerweile sitze ich morgens und abends bei Kerzenlicht – alles, was ich zu diesen Zeitpunkten brauche, bereite ich vor, wenn es noch hell ist. Eigentlich nicht so schlimm, denke ich, denn im Mittelalter war das der Normalfall und wer weiß, wenn das Öl ausgeht… Ich kann mich ja schon mal drauf vorbereiten. Aber optimal ist das nicht – vor allem im Winter, wenn es womöglich den ganzen Tag dunkel ist. Soll ich meine Kunden jetzt nach ihren handwerklichen Fähigkeiten auswählen? Wenn du mir meine Lampe reparierst, bekommst du von mir ein Coaching? Nee, irgendwie ist das auch nicht das Gelbe vom Ei.
- Das Karma-Prinzip
Letztens traf ich Van Bo Le Mentzel bei einem Workshop. Van Bo hat die Karma-Ökonomie erfunden. Und die funktioniert so. Ich habe einen Preis. Der liegt für meinen Workshop bei 250 EUR für drei Stunden. Wenn du das nicht bezahlen kannst, kannst du auch mit deinem Karma bezahlen. Mit meinem Karma? Ja, habe ich denn so was?
Ja, klar. Jeder hat Karma, sagt Van Bo. Karma, das ist die Sache, die du gut kannst, für die du stehst, an die du glaubst, das ist die Menschlichkeit in dir, das Geben, das Lieben, das Lachen, all das, was gute Beziehungen und ein glückliches Leben ausmachen. Aber ist das nicht auch einfach nur Tausch? Oder Pay-what-you-want – nur auf immaterieller Ebene? Nein. Ist es nicht. Die Karma-Ökonomie ist eine Haltung. Eine etwas andere Haltung als die, mit der wir normalerweise durchs Leben rauschen. In unserer Gesellschaft sind wir es gewohnt erst einmal zu nehmen. Was ist der Preis? Erst wenn ich den kenne, dann gebe ich. Das ist in der Wirtschafts- und Arbeitswelt so. Das ist aber mittlerweile auch in unserem Privatleben, in unseren Beziehungen und Freundschaften so. Erst einmal gucken wir, was wir bekommen, bevor wir dann eventuell auch irgendwann mal was geben – ein bisschen – bloß nicht zu viel – denn sonst könnte unser individuelles Preis-Leistungsgefüge durcheinander geraten. Dabei ist noch niemals eine Zucchini gewachsen, bevor man einen Samen gesetzt hat. Wir aber wollen die Zucchini ernten, ohne vorher zu säen.
Die Karma-Ökonomie baut auf dem Prinzip des Gebens. Das stellt unsere Welt auf den Kopf. Wenn Van Bo durch die Welt läuft, dann fragt sein Blick: Was wird gebraucht? Was fehlt? Was kann eine Verbesserung bringen? So kann es passieren, dass er eine Holzlatte im Baumarkt kauft, um eine kaputte Parkbank zu reparieren. Einfach, weil sie kaputt ist, man sich nicht mehr setzen kann und weil sich sonst niemand kümmert. Guerilla-Karma-Denken nennt er das. Van Bo bietet Menschen, Firmen, Institutionen seine Hilfe an, wenn er das Gefühl hat, dass er gebraucht wird. Manchmal fragt er gar nicht erst, sondern macht einfach. So zum Beispiel für Startnext – eine junge Firma, die das Crowdfounding entwickelt hat. Van Bo ist begeistert von diesem Prinzip. Crowdfounding bedeutet, dass man von der Crowd, einer Menschenmenge im Internet, Geld für ein Projekt einsammelt, das man verwirklichen will. Man hat eine Idee, aber kein Geld. Also stellt man diese Idee den Internetusern vor und gibt die genaue Summe an, die man benötigt, um diese Idee zu einem bestimmten Zeitpunkt verwirklichen zu können. Es gibt einen Startschuss und ein Ende, bis zu dem das Geld in der angegebenen Höhe eingesammelt worden sein muss. Liegt die Summe darunter, ist die Finanzierung gescheitert und das Geld wird an die einzelnen Spender zurücküberwiesen. Ist die Summe erreicht worden oder liegt sogar darüber, darf der Initiator das Geld behalten und sein Projekt umsetzen. Ist das Projekt erfolgreich umgesetzt worden, erhalten die Geldgeber Geschenke, die vorher vereinbart wurden. Als Van Bo davon hört, ist er so begeistert, dass er das Unternehmen von Beginn an unterstützt. Zunächst postet er Fotos von Startnext in seinem Facebook-Account, um die Idee zu verbreiten. Dann sammelt er selbst Geld für seine Projekte von der Crowd. Sechs Projekte hat er so schon erfolgreich umgesetzt. Auch für sein aktuelles Projekt – dScholarship – hat er bereits die nötige Summe zusammen bekommen. Es ist ein Experiment. Ein Jahr lang wird sein Leben von der Crowd finanziert. In dieser Zeit will er viele kreative und soziale Projekte verwirklichen, ohne einen Job für den Broterwerb ausüben zu müssen. „Das dScholarship ist das erste demokratische Stipendium. Ein Experiment und erster Schritt zum Bedingungslosen Grundeinkommen. Wir wollen wissen: Arbeiten die Menschen anders, kreativer, effizienter, wenn man sie von Existenzängsten und Druck befreit?“ Klar, dass die Crowd dieses Unternehmen interessiert verfolgen wird. Mittlerweile gibt Van Bo Workshops für erfolgreiches Crowdfounding bei Startnext. Dafür nimmt er Geld oder bietet eben seinen Karma-Deal an. Und weitere Ideen spuken schon durch seinen Kopf: In dem Jahr, in dem er Zeit hat, könnte er sich vorstellen zum Beispiel jeden Freitag kostenlos für das Unternehmen zu arbeiten, damit die bezahlten Mitarbeiter Zeit gewinnen, um die Dinge aufzuarbeiten, die liegen geblieben sind. Und er überlegt, wie der Raum genutzt werden könnte, der derzeit nur für Workshops benötigt wird und ansonsten leer steht. „Man könnte ein Cafe daraus machen oder eine Unterkunft für Leute, die dringend einen Platz zum schlafen brauchen.“ Van Bo hat eigentlich permanent Ideen. Und er will einfach machen, ohne ständig nach einem Preis und seinen Wert fragen zu müssen. Egal, ob er die Baupläne für die Hartz-IV-Möbel entwirft , die Karma-Chaks entwickelt, aus Pippi Langstrumpf Ayse Langstrumpf macht oder die Crowdbuilding-Workshops für Startnext gibt – er will den Unterschied zwischen sich und den Kunden aufheben. „Bei all dem, was ich mache, haben ja alle was davon: die Kunden, das Unternehmen und ich. Ich will mich nicht mehr vergleichen müssen. In jedem von uns steckt ein großartiges Talent – keiner ist besser oder schlechter – jeder Mensch ist einzigartig.“ Letztendlich könne man doch die Frage stellen, wer eigentlich von wem Geld bekommen müsse? Er, der seine Idee von einer Karma-Wirtschaft auf vielfältige Art verbreitet und vorlebt oder die vielen Menschen, die ihn mit ihren guten Ideen anregen und jedes Mal erneut inspirieren?
Natürlich könne man bei so einer Haltung auch die A-Karte ziehen, meint Van Bo. Aber dieses Risiko im Leben besteht doch immer, oder nicht? Natürlich gibt es Menschen, die so ein Verhalten ausnutzen, die sich denken: Man ist der doof, der macht das einfach ohne was zu verlangen. Aber die meiste Zeit geht es gut. Man gewinnt dadurch etwas, das wichtiger ist als Geld: Netzwerke! Netzwerke sind das eigentliche Kapital, meint Van Bo. „Wenn ihr mal alt und schrumpelig seit, braucht ihr jemanden, der euch mal die Suppe kocht. Das sind Netzwerke.“ Und in der Tat: Netzwerke sind nicht unbedingt Freunde, mit denen man mal ein Bier trinken geht oder sie mit irgendeinem Problem volljammert. Netzwerke bestehen aus Menschen, die etwas tun können, was Freunde oft nicht können. In den Netzwerken befinden sich Menschen unterschiedlichster Couleur. Wenn sie gut funktionieren, kann man alle Bedürfnisse und Lebensbereiche damit abdecken. Sie sind da, wenn man etwas braucht, das man nicht täglich benötigt: Einen Job, Geld in der Not, eine Unterkunft, einen Handwerker, einen Coach… Netzwerke sind Multiplikatoren – sie bestehen aus Menschen, die Menschen kennen. Dabei geht es nicht darum, Menschen wie Briefmarken zu sammeln. Die Netzwerke, von denen Van Bo spricht, bauen auf dem Prinzip des Gebens – nicht des Nehmens. Es geht dabei immer um eine Vorleistung. Erst geben, dann nehmen. Deshalb hat sich Van Bo angewöhnt, Menschen grundsätzlich zunächst zu fragen, ob er etwas für sie tun kann. Und das ist kein Spruch. Er meint es ernst. Und wenn er Geld hat, dann kann es vorkommen, dass er auch dieses verschenkt, wenn ein anderer es nötiger braucht als er. So entstehen gebende Netzwerke, die nicht an Geld, Status, Leistung gebunden sind. Netzwerke, die so funktionieren, verhindern das Fallen – weil sie einen auffangen. Im Unterschied zum Tausch kann es durchaus sein, dass man nicht vom gleichen Menschen zurückbekommt, was man gegeben hat. Dafür trifft man aber garantiert jemand anderen, der etwas für einen tut, mit dem man gar nicht gerechnet hat. Das ist Karma. Bei der Karma-Ökonomie geht es nicht um die adäquate messbare Gegenleistung. Karma – das sind die Türen, die sich rechts und links plötzlich öffnen, obwohl sie gar nicht auf dem Weg lagen. Zum Karma gehört es deshalb, wach und gebend durch die Welt zu laufen. Die Welt ist voller Möglichkeiten, man muss sie nur wahrnehmen und ergreifen.
Einen kleinen Wermutstropfen hat allerdings auch dieses Modell, denke ich, so sehr es mich auch begeistert. Was ist, wenn ich hauptsächlich mit sehr karmaträchtigen Menschen umgeben bin, denen es aber noch nicht gelungen ist, ihr Karma wenigstens ab und zu in Geld umzuwandeln? Denn leider lässt sich mein Vermieter nicht mit Karma beglücken und der Lebensmitteladen an der Ecke auch nicht. Van Bo ist privilegiert. Mag er hundertmal als Flüchtlingskind nach Deutschland gekommen sein und eine harte Zeit im Wedding gehabt haben, Van Bo hat den Dreh raus, hat das nötige Selbstbewusstsein, Intelligenz, Wille, Power, Kreativität und vor allem auch das nötige Charisma, das es braucht, um so viel bewegen zu können. Er kann nicht nur jeder Zeit gutes Geld als Architekt verdienen, sondern auch als Visual Recorder, mit dem er einen Tagessatz verdient, was einige nicht mal im Monat bekommen. Da kann man großzügig sein und auch mal experimentieren. Was aber ist mit all den Menschen, denen nicht so viele Möglichkeiten zur Verfügung stehen? Der Drogeriemarktverkäuferin, der Friseurin oder dem Hausmeister? Eine Idee ist immer nur so gut, wie sie auch auf das schwächste Glied in der Gesellschaft übertragbar ist, wollen wir keine neue Barrieren schaffen. Wie sieht da der Karma-Deal aus? Ich überlege. Vielleicht gar nicht so viel anders? Wir Intellektuellen reden ja immer gern übers einfache Volk und überlegen uns Lösungen, damit es auch denen gut geht. Aber wer von uns hat denn wirklich Berührung mit den einfachen Leuten, wenn er sie nicht grad in der Verwandtschaft hat? Mir fällt plötzlich auf, dass die einfachen Leute den Karma-Deal schon sehr viel früher drauf hatten als wir. Mir fällt mein Vater ein und die einfachen Leute seiner Generation. Mein Vater war Jahrgang 1929. Ein Einzelselbstständiger, der als Kaufmann mal mehr, mal weniger gut verdient hat. Heute, wo ich nicht mehr den Anti-Eltern-Kampfblick der 70ziger Jahre drauf habe, erinnere ich mich, wie vernetzt diese einfachen Leute damals waren – und auch heute wahrscheinlich noch sind. Die hatten uns Intellektuellen nämlich eines Voraus: Sie konnten das praktische Leben bewältigen. Wenn ich in den Kreisen meines Vaters verkehren würde, dann hätte ich schon längst wieder eine funktionierende Lampe in der Küche. Mein Zimmer wäre renoviert, für meine Heizung müsste ich keine Unsummen hinblättern, wenn sie kaputt geht und ich hätte sehr preiswerte Lebensmittel. Die einfachen Leute haben den Karma-Deal schon sehr viel früher angewandt. Die haben sich einfach gegenseitig unterstützt. Die Friseuse schnitt umsonst die Haare und bekam dafür ihre Wohnung gestrichen. Der Elektriker verlegte die Leitungen, dafür hat ihm der Gas-Wasserinstallateur die Heizung repariert, wenn sie kaputt war. Da der Gas-Wasserinstallateur durch seine Tätigkeit viele Wohnungsvermieter kannte, konnte er auch vermitteln, wenn man eine Wohnung suchte. Und der Maler kannte meistens auch noch einen Maurer, einen Dachdecker und einen, der Parkett gut verlegen konnte. Das mit dem Vernetzen, dem Geben und sich gegenseitig helfen, ist also gar nicht so neu. Wir müssen dieses alte Prinzip in unserer ökonomisch durchorganisierten Welt, in der alles nur noch für Geld zu haben ist und in der wir vorrangig darauf achten, was wir bekommen, nur wieder entdecken. Das Netzwerken funktioniert in jeder Gesellschaftsschicht. Vielleicht müssen wir uns um die einfachen Leute gar nicht so viele Gedanken machen, sondern könnten uns von denen sogar einiges abgucken. Vielleicht könnten wir uns sogar mit ihnen vernetzen. Vielleicht wäre das die eigentliche Karma-Revolution: Wenn die Kopfarbeiter mit den Handarbeitern gemeinsame Sache machen würden – auf Augenhöhe –. Dann wäre die Sache mit dem Wert gar nicht mehr wichtig, weil alle in ihrer Verschiedenheit gleich viel wert wären.
Und das mit der Preisgestaltung? Das funktioniert auch. Dazu fällt mir nämlich der schlaue Gedanke des französischen Politologen und Wachstumsrücknahme-Bewegten Paul Aries ein, den ich letztens in einer Talkshow entdeckte. Es geht nicht um das ALLES oder NICHTS. Es geht um das SOWOHL als AUCH. Wir leben in einer kapitalistischen Welt. Das Neue, das entsteht auf dem Boden des Alten. Also besteht der Karma-Deal auch darin, das Neue im Alten zu leben, ohne das Alte – unsere Existenzgrundlage – völlig zu vernachlässigen. Wir brauchen ein Standbein, von dem aus wir spielen können. Auf zwei Spielbeinen steht es sich schlecht – man fällt auf die Nase. Wie das Standbein und das jeweilige Spielbein dazu aussehen – das ist die Entscheidung jedes Einzelnen von uns. Wir werden es durch Experimentieren herausfinden. Und uns dadurch langsam von der alten in die neue Welt bewegen.
Interessante Links:
Am 09.10.2014 startet der Film „Was bin ich wert?“ in den Kinos. Die Verfilmung des Buches von Jörn Klares über die Ware Mensch – gemessen in EURO und Cent.
http://www.suhrkamp.de/mediathek/trailer_zum_neuen_kinofilm_was_bin_ich_wert_864.html
Auf der Entrepreneurship Summit 2014 am 11. und 12. Oktober in Berlin können Sie sich Ihren Marktwert auf Heller und Pfennig von den Experten ausrechnen lassen. Sie müssen dazu nur folgendes Formular ausfüllen:
https://www.entrepreneurship.de/entrepreneurship-summit/2013/was-bin-ich-wert/
Oder Sie laden sich das „Art Hosting Handbuch – Über die Kunst gute Räume für Gespräche zu schaffen“ des Liechtensteiner Ideenkanals herunter und probieren aus, ob aus neuen Kommunikations- und Kooperationsmodellen nicht ein tragendes WIR-Gefühl entstehen kann – jenseits von Marktwert und Konkurrenz.