Mit Kreativität in die Zukunft

Wie Veränderung gelingen kann

Was für die einen die Last, ist für die anderen die Lust. Während Menschen mit weniger Bildung in den alten Strukturen der Industriearbeitsgesellschaft gefangen sind und das „alte“ Bürgertum von Abstiegs- und Arbeitsplatzverlustängsten gepeinigt, sich an untragbar gewordene Arbeitsstellen bis zur Selbstaufgabe klammert,  erfreuen sich Teile einer neuen Generation an den vielen, neuen Möglichkeiten des Wandels, der Transformation hin zu einer neuen Zeit. Die Erneuerer der Arbeitswelt sind jung, gut ausgebildet, international aufgestellt, innovativ, kreativ und sozial. Ihr Anliegen steht nicht im unmittelbaren Gegensatz zur Heilsverkündung der digitalen Arbeitswelt, aber sie schwören auch nicht auf das Allheilmittel Wirtschaftswachstum, wie es die Wirtschaftskaste und Politikerklasse der alten Welt tun. Selbstverwirklichung, Sinnhaftigkeit, Familie, Freunde, soziale Innovationen und vor allem der Fokus auf das Gemeinsame, auf ein kollaborierendes WIR, einem respektvollem Umgang auf Augenhöhe stehen im Mittelpunkt einer Generation, die die Arbeitswelt nachhaltig umgestalten wird und damit auch die Gesellschaft, in der wir leben. Ihre Mittel sind genauso frisch wie ihre Ziele, ihr Blick auf eine globale Welt und ihr Umgehen miteinander. Im Unterschied zur alten Arbeitswelt erfinden sie die Berufe, die sie ausüben möchten, einfach neu. Warum auch zum zigsten Male eine Bewerbung an eine Firma schreiben, bei der man eh nur irgendwas umsetzen kann, was andere vorschreiben und was weder sinnvoll noch nachhaltig ist? Warum sich als Praktikant oder befristeteteR AngestellteR mit spärlichem Gehalt von Job zu Job hangeln? Dann doch lieber gleich was Eigenes machen, eine Crowd begeistern und von dieser Geld für die Umsetzung sammeln. Die Möglichkeiten, die sich auftun, sind vielfältig und die UnterstützerInnen und Changemaker werden tagtäglich mehr. Sie nennen sich Entrepreneurs  und Sozialunternehmer , sie errichten Transitiontown-Initiativen , von denen einer der auch wirtschaftlich erfolgreichsten der Prinzessinnen Garten in Berlin ist . Sie gründen Solidarische Landwirtschaften  und offene Werkstätten. Nicht zu schweigen von regionalen Klein-Unternehmen , die auf nachhaltigen und fairen Konsum, auf Teilen, Reparieren   und Leihen statt Kaufen setzen.

„Ich glaube, dass weniger Berufsarbeit kreative Kräfte auch bei Leuten freisetzen würde, denen man das heute gar nicht zutraut.“

(Theo Wehner, ETH-Arbeitspsychologe)

Wie  aber können an diesen neuen Ideen und flexiblen Umgangsweisen mit der gesellschaftlichen Transformation breitere Bevölkerungsschichten partizipieren? Die Gesellschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten – mit dem Siegeszug des Neoliberalismus – nicht nur wieder verstärkt in Klassen – in Gewinner und Verlierer, Arme und Reiche – geteilt, der Riss geht auch mitten durch die Arbeitsgesellschaft. Es gibt die alte Arbeitsgesellschaft, die sich jetzt von der Industriegesellschaft 3.0 in die digitale Industrie 4.0 wandelt und in der es weiter um Wachstum, Wohlstand, Wettbewerb gehen wird. Die Kämpfe, um die knapper werdenden Arbeitsplätze werden noch rabiater werden, der Leistungsdruck wird „die Spreu vom Weizen“ trennen. Und die VerliererInnen werden  die Jobcenter bevölkern, die ihrerseits den Druck verstärken und in die auslaufenden Berufsfelder und den wachsenden Niedriglohnsektor zwangsintegrieren, um die Statistikzahlen zu schönen. „Ich glaube, dass weniger Berufsarbeit kreative Kräfte auch bei Leuten freisetzen würde, denen man das heute gar nicht zutraut.“ sagt der ETH-Arbeitspsychologe Theo Wehner . Damit geht er konform mit dem Hirnforscher Gerald Hüther, der dem Gehirn eine Lern-Elastizität bis ins hohe Alter hinein, zuschreibt. Es bedürfe lediglich Neugierde, Lust am Lernen und die nötige Offenheit, Neues entdecken zu wollen. Und genau hier beginnen die Schwierigkeiten. Menschen, die von jung an auf das Konzept unserer Arbeitsgesellschaft eingeschworen wurden: unbefristeter Vollzeitjob, Konsum, Freizeit, Rente und wenig mit innovativen Ansätzen und ungewöhnlichen Biografien in Berührung gekommen sind, tun sich oft schwer aus dem Hamsterrad der Alternativlosigkeit auszusteigen. Selbst, wenn der Strick sich immer fester um den Hals surrt, werden weiter große Anstrengungen unternommen, doch noch irgendwie einen Platz auf dem sinkenden Schiff zu bekommen. In meiner Tätigkeit als Jobcoach habe ich oft erlebt, mit welcher Beharrlichkeit Menschen sich seit Jahren immer wieder und wieder auf die gleichen Stellenanzeigen bewerben, wie ihre Hoffnung mit jeder Absage mehr abnahm und sie schließlich in der Warteschleife „Arbeitslosigkeit“ landeten. Das Gefühl, ausgeschlossen zu sein und die drohende Existenzangst, zwingen viele Menschen in eine Art Todesstarre, die sie im Wartemodus verharren lässt, oft ohne die Möglichkeit aus eigener Kraft an dieser Situation etwas verändern zu können.

Für viele Menschen ist die eigene Identität am Wachstumsmythos gebunden

Loslassen und neue Wege beschreiten, fällt schwer. Besonders Menschen, die noch die fetten Wohlstandsjahre erlebt haben, können nur langsam akzeptieren, dass das wirtschaftliche Klima sich verändert hat. Bei weitem nicht alle Angehörigen der jüngeren Generation begrüßen freudig das neue Zeitalter zwischen Selbstverwirklichung und Selbstverleugnung. Viele von ihnen sind im sorglosen Wohlstand aufgewachsen und können nicht begreifen, warum sie mitunter –  trotz besserer Ausbildung –  schlechtere Startbedingungen und Verdienstmöglichkeiten als ihre Eltern haben. Heute entwickelt sich nicht nur die Technik in rasantem Tempo und verändert Arbeit, Wirtschaft und Leben. Auch das soziale Gefüge wird brüchiger, hat sich dem Tempo der Technik angepasst. Die mentalen Infrastrukturen  der Wachstumsgesellschaft,  ein Begriff, den Harald Welzer geprägt hat, sind tief verankert: in den kollektiven Prägungen der Mehrheitsgesellschaft und im Inneren des Individuums.

Wir leben in einer Umbruchzeit. Veränderungen werden von den Wenigsten freudig begrüßt. Die meisten Menschen beginnen ihren Blickwinkel erst dann zu ändern, wenn es gar nicht mehr anders geht – sie quasi mit dem Rücken an der Wand stehen. Und dann gibt es immer noch die Entscheidung sich mit dem abzufinden, was übrig bleibt: Resignation, Fernsehen, Alkohol und Warten. Häufig nehmen Menschen es eher in Kauf, ins soziale Abseits zu geraten, als lieb gewordene Denk- und Verhaltensgewohnheiten zu verändern. Das hat etwas damit zu tun, wie wir als Menschen funktionieren. Unsere Identität setzt sich aus verschiedenen Bausteinen zusammen. Auf den NLPler Robert Dilts geht das Modell der logischen Ebenen zurück. Unser Verhalten, unser Denken, Fühlen, Handeln basieren auf unseren Glaubenssätzen, Werten und auf einen größeren Sinn-Zusammenhang, dem wir unserem Leben gegeben haben. Vieles davon geschieht unbewusst – es beginnt mit der Erziehung, über Schule, Beruf, sozialen Kontakten. Wie wir uns als Menschen definieren, kommt darauf an, in welchem gesellschaftlichen Umfeld wir uns bewegen, welche Glaubenssätze wir über uns entwickelt haben, was wir meinen sein und leisten zu müssen. Die untenstehende Grafik soll an einem simplen Beispiel verdeutlichen, wie Menschen in einem Bereich ihres Lebens eine bestimmte Identität über sich entwickelt haben. Die sechs Ebenen bestehen aus der Umwelt – dem sozialen Umfeld – in dem ich mich bewege, aus meinem Verhalten, meinen Fähigkeiten, meinen Glaubenssätzen über mich und über Andere, meinen Werten, die ich daraus ableite und schließlich meinem Zugehörigkeitsgefühl: Wo verorte ich mich als Individuum in einem größeren Ganzen?

logische EbenenVeränderung fällt deshalb so schwer, weil wir nicht einfach umswitchen und von jetzt auf sofort neue Denk- und Handlungskompetenzen ausbilden können. Menschen sind keine Festplatten, in deren Datenbank man einfach mal eine neue Kompetenz oder einen neuen Denkansatz speichern kann. Wenn wir uns verändern, dann zieht sich das durch alle logischen Ebenen unseres Seins – beginnend in der Umgebung nach oben zu den Werten und Glaubenssätzen (bottom-up) oder von der Sinn-Ebene nach unten zu den Verhaltensweisen und dem sozialen Umfeld (Top-down). Wenn ein Mensch seine Arbeit verliert, dann zieht sich der Verlust durch seine ganze Identität. Da ist nicht nur ein Job weg, sondern die Identität wird brüchig und die Sinn-Ebene schwankt. Man gehört nicht mehr dazu, aber wenn man nicht mehr dazu gehört, wer ist man dann? Und wie verhält sich meine Umwelt mir gegenüber – mein soziales Umfeld – wenn ich plötzlich nicht mehr dazu gehöre, nicht mehr das nötige Geld nachhause bringe und den Lebensstandard halten kann? Was passiert dann mit meinen Werten? Meinen Einstellungen (Glaubenssätzen) über mich und die Anderen?

Veränderung geschieht in einem Kontext aus Gewohnheiten, Denk- und Verhaltensweisen. Wenn ich keine Arbeit mehr habe, kann ich nicht mehr im gewohnten Maße mithalten. Wenn ich nach neuen Lebens- und Arbeitsmöglichkeiten suche in einer neuen Umwelt, mit Menschen, die andere Werte und Zugehörigkeiten haben als ich, dann wirkt das auch auf mich, auf meine Werte und Glaubenssätze. Ich verändere mich und verhalte mich  auch in meinem sozialen Umfeld anders als gewohnt. Eine zu schnelle Veränderung – in der einige Ebenen nicht mitgenommen werden -, kann zu einem Identitätsbruch/Verlust führen. Ehen, Familien und Freundschaften sind so schon zerbrochen, dann nämlich, wenn Menschen sich plötzlich anders verhalten und andere Werte einbringen, die das bisherige soziale Umfeld nicht teilt. Es hilft deshalb wenig, wenn wir abschätzig über Menschen sprechen, die nach einer längeren Arbeitslosigkeit sich zuhause einriegeln, womöglich zu Alkohol und Fernsehen als Betäubungsmittel greifen, anstatt fröhlich beim nächsten Urban Gardening Projekt an die Pforte zu klopfen. Veränderung ist ein langwieriger Prozess und die mentalen Infrastrukturen des Kapitalismus sitzen tief. Aus der Konformität auszubrechen, ist ein Schritt, den Menschen nicht einfach so gehen, wenn sie in einem sozialen, vermeintlich tragfähigem Umfeld eingebunden sind.

Der amerikanische Politologe Francis Fukuyama verkündete unlängst in der „Zeit“ Demokratie stiftet keine Identität. Die moderne, liberale Demokratie [habe ein] grundsätzliches Problem: Sie bietet wirtschaftlichen Erfolg und Sicherheit, aber sie stiftet weder Stolz noch Gemeinschaft und Identität“.  Wen wundert es, das für die meisten Menschen die Sinnhaftigkeit ihres Tuns, ihres Lebens sich in Arbeit, Konsum und Wohlstand erschöpft? Und die Illusion vom ewigen Wachstum und Wohlstand wird kräftig am Leben erhalten: Wenn wir uns alle nur doll genug anstrengen und einige den Gürtel noch enger schnallen, dann wird das schon wieder werden – wird uns von den Politikern, den Wirtschaftseliten und den Massenmedien suggeriert. Auch wenn die Mär vom stetigen Wachstum brüchig geworden ist, noch will man sich davon nicht verabschieden – nicht als Gesellschaft und nicht als Individuum. „Never change a running system“ scheint die Devise zu lauten. Wir wollen nicht merken, dass dieses System schon lange nicht mehr funktioniert – nur eine Übergangsepoche war – wie alle Gegenwarte der Geschichte immer schon die Veränderung in sich tragen, die Bewegung – Zustand Illusion und nicht einmal im Tod zu haben ist. Wenn das Glaubenssystem Wachstum & Wohlstand nicht zusammenbrechen darf, kann die Schuld also nur beim Individuum liegen, das sich nicht genug angestrengt hat, um mithalten zu können.

Transformation muss den individuellen mit dem gesellschaftlichen Sinn verknüpfen, um wirksam werden zu können

Wie aber kann Veränderung trotzdem gelingen? Bei immer mehr Menschen, die mental und in ihrem Handeln zwar noch im Wachstumsmythos eingebunden sind, bröckelt so langsam das Vertrauen in das Versprechen vom ewigen Wachstum, aus dem der Wohlstand kommt. Die Arbeitsplätze (Umgebung) werden brüchig – die Jobs sind befristet, das Gehalt niedrig, das Betriebsklima ist vergiftet. Zweifel kommen auf, ob die Werte, die man bislang für gültig hielt, noch stimmen, ob der Glaube, durch Leistung etwas bewirken zu können, noch stimmt. Im neoliberalen Gefüge boomen die Lebensratgeber, die überwiegend noch immer individuelle Ansätze bieten: Wie finde ich meine Berufung? Wie setze ich mich durch und ins bessere Licht? Was ist die beste Bewerbungsstrategie? Wie kann ich mir Ziele setzen und sie auch erreichen? Der neoliberale Ansatz, der die Verantwortung für ein gelungenes Leben allein beim Individuum verortet und dabei gesellschaftliche, soziale und politische Rahmenbedingungen außen vor lässt, setzt auch bei Veränderungsprozessen ausschließlich beim Individuum an. Therapie und Coaching hatten und haben noch immer überwiegend das Individuum im Fokus. Der gesellschaftliche Rahmen, in dem sich das Individuum bewegt, bleibt außen vor – als läge die gesamte Formbarkeit des eigenen Lebens in der Macht des Einzelnen. So ist es kein Wunder, dass Burnout- und Depressionserkrankungen ständig zunehmen und dass das dem Leistungsdruck nicht mehr gewachsene Individuum sich schließlich ermattet ins seine vier Wände und schließlich vom Leben zurückzieht.

Für das moderne Veränderungscoaching und Change Management wurden verschiedene Modelle entwickelt, die überwiegend auf das Modell von Kurt Lewin – einem der einflussreichsten Psychoanalytiker des letzten Jahrhunderts – zurückgehen. Sie beziehen sich auf den innerpsychischen Veränderungsprozess des Individuums. So durchläuft das Individuum sieben (in einigen Modellen auch fünf) Phasen, bevor sich ein neues Verhalten, ein neues Handeln oder Denken integrieren kann. Zunächst entsteht eine Vorahnung – man spürt, dass die Dinge nicht mehr rundlaufen, die Unzufriedenheit nimmt zu, man spürt, es ist etwas im Gange, das den Bruch mit einer gewohnten Situation ankündigt. Dann der Schock – die Kündigung flattert ins Haus. Ärger entsteht, Wut kocht hoch. Man will es nicht wahrhaben, wehrt das, was geschehen ist, ab. Denkt daran, wie man sich womöglich zur Wehr setzen könnte. Dann kommt die Frustration. Man anerkannt, dass der Arbeitsplatz wirklich verloren ist – weg – unwiderruflich. Der Kopf schaltet sich ein und sagt: O.k. es ist so. Die nächste Phase besteht in der emotionalen Akzeptanz dessen, was ist. Das Gefühl von Trauer, das emotionale Erfassen und Durchleiden davon, dass etwas verloren ist, das wichtig war und dem Leben Sinn gab. Wenn die Trauer zugelassen wird, kann sich der Mensch nach einer Weile wieder öffnen. Es entsteht Neugierde auf Zukunft, auf das Neue, das es zu entdecken gilt. Man macht sich hoffungsvoll auf den Weg – zu einem neuen Arbeitsplatz, in eine neue Lebensphase. Und schließlich die letzte Phase, die Integration, in der das alte verarbeitet ist, los gelassen wird und das Selbstvertrauen zurückkehrt.

Das Problem, das häufig entsteht, ist, dass die Trauerphase bei einer Veränderung, die uns von außen aufgenötigt wird, übersprungen wird. Wir leben in einer rationalen Welt, in der Probleme über den Kopf gemanagt werden. Wer weint, ist schwach. Mit jemand, dem es psychisch nicht gut geht, will man nichts zu tun haben. Leistung, Durchsetzung, präsent sein, gut drauf sein – sind die Eigenschaften, die in unserer Gesellschaft des immer höher, schneller, besser zählen. Also wird die Trauer um den Verlust übersprungen. Was aber nicht verarbeitet wird, kann nicht in eine neue Offenheit und Neugierde münden, bringt kein neues Selbstvertrauen hervor. Es sammelt sich eine Verletzung nach der anderen an – bis Menschen resignieren, ihre Offenheit und Neugierde verlieren – sich zurückziehen. Ein weiteres Problem, das sich stellt: Die Individualisierung der Problemlage. Denn der Verlust des Arbeitsplatzes ist kein ausschließlich individuelles „Versagen“. Die Arbeitsgesellschaft – ein wesentliches Fundament der Wachstumswirtschaft – ist brüchig geworden, wird noch brüchiger werden. Kurt Lewin hat sein 3-Phasen-Modell einer Veränderung  in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts entwickelt. Es war ein Modell zur sozialen Veränderung einer Gesellschaft. Nach seiner Emigration in die Vereinigten Staaten beschrieb er, wie die Kultur  in Deutschland von der Naziherrschaft zur Demokratie vollzogen werden könne. Lewin vertraute nicht darauf, dass der Einzelne den Wandel irgendwann selbst vollziehen würde. Deshalb sollte die Veränderung in einer Gruppe schrittweise in einer Atmosphäre der Freiheit und der Spontanität erfolgen. Die Veränderung sollte in drei Phasen geschehen: „Auftauen, Ändern, Neustabilisieren“. Für den heutigen Transformationsprozess übersetzt, könnte das bedeuten:

  1. Auftauen

Ernstnehmen der Sorgen und Probleme der Menschen im Gruppenprozess. Aufklären über die wirtschaftlichen Zusammenhänge. Gruppenbildungen, in denen Zusammenhänge von Wachstum, Wettbewerb, Prekarisierung, Neoliberalismus selbst erarbeitet werden, um die eigene Arbeitslosigkeit aus der Privatheit zu holen und in einen gesellschaftspolitischen Kontext einzubinden.

  1. Ändern

Erweiterung des Spektrums um die Möglichkeiten einer Alternativökonomie und solidarische Formen des Miteinanders. Gerade in Gartenprojekten und offenen Werkstätten werden die Fähigkeiten praktisch-begabter Menschen gebraucht. Möglichkeiten anderer Erwerbsmöglichkeiten entdecken, mit weniger Geld auskommen durch Teilen, Tauschen, Reparieren und Gemüse selbst anbauen. Vorteile erkennen: Ein soziales Miteinander auf Augenhöhe anstelle Einsamkeit und Ausgrenzung.

  1. Neustabilisieren

Fähigkeiten, Fertigkeiten, soziale Kompetenzen ergänzen und in neue Sinnzusammenhänge einbetten. Neue Möglichkeiten der Erwerbsarbeit kennenlernen. Unterstützung bieten, um Erwerbsarbeit in Unternehmen zu erhalten, die auf Potenzialentfaltung und Augenhöhe setzen.

Wie der Brückenschlag gelingen kann

Wenn wir heute die Transformation von einer Wachstums-  zu einer Postwachstums-Gesellschaft vollziehen und den neuen Arbeits-, Wirtschafts- und Lebensmodellen, die allerorts am Entstehen sind, einer breiteren Bevölkerungsschicht zugänglich machen wollen, ist es sinnvoll den individuellen Aspekt der Veränderung – auch in der Beratung-  um die gesellschaftliche Komponente zu erweitern. In den Experimentierräumen der Postwachstumspioniere können gemeinsam neue Erfahrungen gemacht werden, ein Transformationscoaching kann den Prozess unterstützend begleiten. Die mentalen Infrastrukturen der Wachstumswirtschaft können nur dann nachhaltig transformiert werden, wenn wir die individuelle Problemlage, um den gesellschaftlichen Rahmen – dem kollektiven Bewusstsein und den kollektiven Glaubenssätzen – erweitern. Arbeitsagenturen, Jobcenter und die vom Jobcenter finanzierten Bildungsträger täten gut daran, diesen Fokus aufs Gesellschaftliche in ihre Arbeit zu integrieren. Es hilft nichts, Menschen von einem Bewerbungstraining zum nächsten, vom Integrationscoach zum Arbeitsvermittler und von einem befristeten Job zur nächsten MAE-Maßnahme zu schicken. Wenn das Spektrum an Wahl- und Veränderungsmöglichkeiten nicht erweitert wird, kann der Einzelne keinen Ausweg aus seiner Misere finden, kann keine Neugierde und Offenheit entstehen, keine Widerstandskraft und kein Erleben von Selbstwirksamkeit sich entwickeln. Fähigkeiten und Handlungsoptionen, die für die Arbeitswelt der Zukunft – sei es nun die durch-digitalisierte Industrie 4.0 oder die neu entstehenden Sinn-Unternehmen, die auf Kollaboration, Augenhöhe und Selbstorganisation setzen – dringend benötigt werden. Es werden Menschen gebraucht, die sich auf Veränderungsprozesse selbstbewusst einlassen können und wollen. Die keine Angst haben müssen, im sozialen Aus zu landen, wenn sie aus dem Hamsterrad aussteigen und sich neue Arbeits- und Lebensräume erschließen. Dafür braucht es neben experimentellen Räumen und der Unterstützung eines Transformations-Coachings, das Arbeit  und Arbeitslosigkeit aus der rein  individuellen Verantwortung befreit und um das Gesellschaftliche ergänzt, auch Verantwortliche aus Politik, Wirtschaft und Arbeitsagenturen, die diese neuen Ansätze unterstützen.

Links:

FRANKFURTER ERKLÄRUNG. Für eine kritisch-emanzipatorische Politische Bildung
https://sozarb.h-da.de/politische-jugendbildung/frankfurter-erklaerung/

 Prekariat auf Abwegen – Telepolis
http://www.heise.de/tp/artikel/47/47975/1.html

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