Arbeit als Pflicht oder Kür?

Ein polemischer Streifzug durch eine neoliberale Arbeitswelt im Aufbruch

„Es war einmal eine Zeit, da schien die ganze Welt auf einem gemeinsamen Weg in Richtung Demokratie und Marktwirtschaft zu sein. Die einen waren schon weit vorangeschritten, die anderen beeilten sich aufzuschließen. Künftig würde es keine konkurrierenden wirtschaftlichen und politischen Systeme geben, nur noch verschiedene Spielarten des liberalen Kapitalismus. Die am Ende des Zweiten Weltkriegs besiegelte Teilung Europas war endlich überwunden. Handelsbarrieren fielen, die Weltwirtschaft boomte, Computer und Internet begannen ihren Siegeszug. Es war ein Zeitalter der Zuversicht.“

Ralf Fücks „Kampf um die Moderne

Die klare Trennung von Arbeit und Leben, von Beruf- und Privatleben, Freundschafts- und KollegInnen-Verhältnissen, dem Austausch von „persönlichen Befindlichkeiten“ im Privaten und der professionellen, eher sachlich geprägten Rolle im Beruf hatte jahrzehntelang den Sinn, das „Ich“, die Persönlichkeit des Menschen in seiner Vielschichtigkeit und Verletzlichkeit vor dem Zugriff des Ökonomischen zu schützen, einem Bereich, in dem nicht der Mensch als solcher gilt, sondern die Logik des Marktes regiert. Umso mehr jedoch der Neoliberalismus in Verbindung mit seiner ihn stützenden Wirtschaftsform – der freien Marktwirtschaft – und dem philosophischen Konstrukt des Kulturrelativismus, der sich aus den verschiedenen Spielarten des Konstruktivismus speist, in alle Lebensbereiche vordringt, werden das Private und das Ökonomische zunehmend vermischt und kapitalisiert. Die Privatheit des Menschen, die metaphysischen Fragen nach dem Sinn, dem Woher und Wohin, die ganze Palette seiner reichen Gefühlswelt, die Fähigkeit des Menschen zu lieben, zu trauern, Freude, Wut, Eifersucht, Neid, Glück und Mitgefühl zu empfinden – werden zunehmend in die ökonomische Welt adaptiert und für die Marktlogik ausgeschlachtet. Die exponierten VertreterInnen dieses Gesellschafts- und Wirtschaftssystems haben nämlich erkannt, dass Menschen weitaus produktiver, motivierter und manipulierbarer werden, wenn man ihnen das Gefühl gibt, dass sie sich mit ihrer ganzen Persönlichkeit in das Unternehmen einbringen können. Die neuen Zauberworte Potenzialentfaltung, Sinn, Kollaboration, neue Führungskultur (Leadership), „Selbstorganisation“, Verbindung, Netzwerk- und Beziehungskultur werden zunehmend zu neuen Macht- und Herrschaftsinstrumenten, um Menschen in ungleichen Arbeitsverhältnissen noch gefügiger zu machen. Multinationale Unternehmen gestalten ihre Arbeitsräume zu  „Wohnzimmern“ um, bieten plauschige Ecken, in denen ganz „zwecklos“ miteinander kommuniziert werden kann, inszenieren regelmäßige Mitarbeiter-Events, in denen Gemeinsamkeit und Zugehörigkeit zelebriert werden und geben so den Mitarbeitern das Gefühl, als wäre die Arbeit nicht Teil des Lebens, sondern das Leben selbst.

Lichtdurchflutete transparente Büros sollen nicht durch Luxus, sondern durch eine vitalisierende und funktionale Anmutung, Farbe und Materialien; Natur, Erlebniswelten Spaß am Arbeiten vermitteln“

„Es ist glaube ich wichtig, dass so ein Gebäude vermittelt, dass Arbeiten  keinen Zwang darstellen muss. Das sollte auf keinen Fall ein Ort sein, in dem ich erinnert werde, zu arbeiten.

„Da gibt es die MIT-Studie, die besagt, 80 % aller Innovationen entstehen durch die zufällige, ungeplante Kommunikation. Sie müssen sich das nicht so vorstellen, dass wir beide uns treffen und sofort das Ei des Kolumbus entwickeln. Sondern wir treffen uns und kommen möglicherweise ungeplant über ein Thema ins Gespräch und ich hole mir ein Fragment aus dem Gesagten heraus und nutze das wieder für meine eigene Arbeit. Das ist sozusagen die Quelle. Das ist ein Beispiel dafür. Oder das andere Beispiel: Sie fangen erst über private  Dinge an zu reden, nach zwei drei Minuten kommt man zu beruflichen Themen und auch dann ist es natürlich wieder die Möglichkeit, dass man einen Input bekommt, ein Fragment, das man für seine Tätigkeit benötigt.“

„Was mir noch nicht so ganz klar ist. Wir haben hier drei sogenannte Meeting-Points, was ist dort vorgesehen, was findet dort statt?

„Das ist das Besondere. Dort kommuniziert die Abteilung übergeordnet mit der anderen Abteilung über diese Brücken, über die Geschosse, über die schönen Treppen. Das ist eigentlich ein Bereich, den man gar nicht richtig programmieren kann, sondern da wird Leben generiert werden. Dort wird eigentlich eine Kommunikation entstehen, so hoffen wir und kennen das auch von anderen vergleichbaren Projekten, die auch einen Wandel in der Art des Arbeitens miteinander forcieren kann. Wir stellen uns vor …, dass wir hier auch in der Möblierung völlig frei werden von jeder Auflage, das soll keinen Bürocharakter haben. Da sollen eher Möbel  stehen, die wir aus dem Wohnbereich kennen, die wir aus der Küche kennen. Wir haben hier die Teeküchen. Die Teeküchen sind gleichzeitig Postfächer. Also hier passiert das, was in der Nachbarschaft, unten an der Haustür passiert. Im Idealfall.“

(Originalzitate aus dem Film: „Work hard. Play hard“,  Behnisch Architekten, die die neue Firmenzentrale von Unilever in der Hafenstadt, Hamburg City, gebaut und eingerichtet haben)

Wer in so einer wundervollen Umgebung arbeitet, mag womöglich gar nicht mehr nachhause gehen. Das Privatleben – mittlerweile bei vielen genauso durchorganisiert und durch terminisiert wie der Arbeitsalltag -, die FreundInnen aus einem ähnlichen Umfeld kommend, mit denen man sich  über Erfolge, Leistungsansprüche, Karrierewünsche, Innovationen und Aktienkurse beim morgendlichen Jogging, im Fitness-Studio oder im Restaurant austauscht, während in den absichtslos geführten Gesprächen womöglich schon wieder eine Inspiration für die Marketingabteilung lauert -, ähneln dem Alltag im Unternehmen mittlerweile so stark, dass die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben zunehmend verwischen. Warum sich eigentlich nicht mit Leib und Seele dem Unternehmen verschreiben, wenn die meisten FreundInnen doch in einem ähnlichen Kontext tätig sind und man sich sowieso bei Geschäftsmeetings und gemeinsam organisierten Events trifft? Die ganze Welt eine große Firmenfamilie -bestehend aus lauter begeisterten Mit-UnternehmerInnen?

Dabei hat der Wunsch nach mehr Kreativität, Potenzialentfaltung, Sinn, Nachhaltigkeit und Authentizität in der Erwerbsarbeit durchaus seine Berechtigung. Denn hinter der Idee der „Vermenschlichung“ des Erwerbsarbeitslebens offenbarte sich einmal eine revolutionäre Idee und soziale Absicht. In den 1968er bis in die 1980er Jahre hinein, kämpften  die AkteurInnen der linken und sozialen politischen Protestbewegungen noch bewusst gegen eine Unternehmenswelt, in denen Menschen – vor allem ArbeiterInnen – auf ihre rein körperliche Arbeitskraft reduziert und ausgebeutet wurden. Die entfremdeten Arbeitsverhältnissen, die zu entfremdete Beziehungen und schließlich zur Entfremdung des Selbst führten, wurden in langen Theorieschriften analysiert. Es wurde Marx gelesen, Wilhelm Reich, Erich Fromm; Andre Gorz, Adorno, Habermas – es wurde überhaupt viel theoretisiert, diskutiert, kritisiert in dieser Zeit. Man stritt sich noch ordentlich in den Hörsälen und bei politischen Versammlungen. Es ging um Argumente, um die „richtige“ Deutung der Welt, um die Befreiung des Menschen aus selbstverschuldeter Unmündigkeit und für eine gerechte Welt, die sich nicht im Kapitalismus verwirklichen ließ. Und es ging auch um eine andere Wertung von Arbeit und Leben. Arbeit war einfach zweitrangig – ein notwendiges Übel, dem man nachgehen musste, wenn man nicht von staatlicher Hilfe leben wollte. Aber der Sinn des Lebens lag nicht im Arbeiten, sondern im Mensch sein. Und wenn Arbeit, dann bitte eine, die uns als Menschen weiterbringen würde, selbst organisiert und im Kollektiv.

Damals gab es auch noch so etwas wie eine politische Streitkultur, auch wenn die Debatten hart waren. Mit Innerlichkeit und Achtsamkeit kam man nicht weit – man musste sich schon wortstark und argumentativ in einer männerdominierten  Polit- und Intellektuellenszene behaupten. Und obwohl die Kontrahenten sich argumentativ bekämpften, gingen sie hinterher in die Kneipe und tranken zusammen ein Bier, auch wenn meistens weitergestritten wurde. Trotz der härteren Gangart hatte die ganze Atmosphäre etwas geistig Befruchtendes. Es gab noch so etwas wie Persönlichkeit, einen intellektuellen Standpunkt, von dem aus man die Welt betrachtete, der aber auch nicht so fest war, dass man ihn nicht ändern konnte, wenn ein gutes Argument ihn entkräftete.

Heute – in einer Zeit, in der „Gefühle“ und Emotionen Hochkonjunktur haben, die von findigen MarketingexpertInnen für Werbung und Konsum ausgeschlachtet werden, hat sich die neue Innerlichkeit auch in Teilen der sozialen, die Ökonomie verändern wollenden Bewegungen verortet. Man counselt lieber miteinander  – eine Methode, in der die Beteiligten reihum mit Hilfe eines Redestabs über die eigenen Befindlichkeiten philosophieren, während dabei streng vermieden wird, das man wirklich miteinander ins Gespräch und in die Argumentation kommt, bis sich auch der letzte und die letzte in einem wohligen Emotionsdämmerzustand befindet, um einem Konsens auf kleinstem gemeinsamen Nenner zuzustimmen. Im Trend liegen die „wertschätzende“, politisch korrekte Ansprache, als wären die Menschen der Moderne rohe Eier, denen man absolut nichts mehr zumuten kann, was den inneren „Seelenfrieden“ mal aus der Dumpfheit befreien würde. Man betont die Gemeinsamkeiten, denn Differenzen stören den Frieden. Die Kommunikation findet mehr auf Beziehungsebene anstatt auf argumentativer Sachebene statt. Dadurch entsteht eine merkwürdige Schwammigkeit und Undifferenziertheit im Umgang miteinander. Der und die Andere wird nicht mehr (an)-greifbar, aber auch nicht mehr „berührbar“. Man versteckt sich entweder hinter einer hochkontrollierten Emotionsfassade, immer freundlich, immer „wertschätzend“, jedes böse Wort, das für Klarheit sorgen könnte, vermeidend oder reagiert auf sachliche Argumente mit  „Gefühls“bekundungen (vom schmerzlich das Gesicht verziehen über Verbaläußerungen „das tut mir jetzt aber weh“ bis plötzliches in Tränen ausbrechen ist alles möglich – interessanterweise auch bei jüngeren Männern!). Und – ich spreche hier nicht von Freundschafts- oder Liebesbeziehungen, sondern von Projektpartnerschaften und Arbeitsbeziehungen.

Während Ende der 1960er Jahre linke StudentInnen vor die Fabriktore zogen, um die Arbeiterschaft zu „revolutionieren“ und sie selbst den Marsch durch die Institutionen antraten, um diese von innen heraus zu verändern, versuchten es die später Geborenen Ende der 1970er / Anfang der 1980er Jahre mit der praktischen Veränderung – den Aufbau, einer alternativen Lebens- und Arbeitswelt. Damit ähnelten sie den heutigen Postwachstumsaktivisten mit  ihren Urban Gardening und Transitiontown-Projekten. Eine links-alternative (Öko)-Welt entwickelte sich – Bioläden, selbstorganisierte Kinderläden, Druckereikollektive, linke Rechtsanwaltskanzleien und  libertäre Buchläden wurden gegründet. Karriere machen war nicht angesagt. Wenn man sich nicht in der alternativen Szene verwirklichen wollte, dann fuhr man Taxi oder hatte irgendeinen Bürojob, mit dem man sich existenziell über Wasser hielt. Der Wohnraum war preiswert – es gab noch die typischen Studentenbuden mit  Ofenheizung und Klo eine Treppe tiefer. Das reichte völlig aus – Hauptsache man hatte genug Kohle für Bücher, Zigaretten und um den Rotwein bei den nächtlichen Theoriediskussionen in verrauchten Szenekneipen zu bezahlen. Konsumverweigerung und nachhaltiger Lebensstil mussten damals nicht mühsam eingeübt werden, wir lebten ihn sowieso. Denn an materiellen Dingen hatten wir kein Interesse – vielmehr zählten Selbsterkenntnis, Selbstverwirklichung, theoretische Debatten um die bestmögliche Veränderung der Welt zu Freiheit und Gleichheit sowie politisches, soziales und künstlerisches Engagement. Wir glaubten daran, die Welt verändern zu können – mit dieser neuen links-alternativen Kultur, die im Entstehen begriffen war. Auch hier ähnelten wir den heutigen Postwachstums-AktivistInnen.

Das änderte sich 1989 mit dem Zusammenbruch der sozialistischen Alternative – die in Wirklichkeit nie eine war. Jetzt gab es nichts mehr, was sich dem Dreiergespann -Neoliberalismus, freie, globale Marktwirtschaft und Kulturrelativismus – als die beste aller Welten entgegenstellen konnte. Was mit der Thatcher- und Reagan-Regierung begann, hielt mit der rot-grünen Schröder-Regierung Ende der 1990er Jahre auch in Deutschland Einzug. Eine Privatisierungs- und Modernisierungswelle schwappte über das Land – der Osten wurde vom Westen vereinnahmt, gewachsene Strukturen zerstört, der öffentliche Sektor zunehmend privatisiert, Sozialleistungen abgebaut, Wohnraum wurde von Spekulanten und Investmentfirmen aufgekauft, die ursprünglichen Mieter vertrieben, aus Sozialbauwohnungen wurden Eigentumswohnungen, die Hartz IV – Gesetze wurden eingeführt und mit ihnen prekäre Jobs im Niedriglohnsektor. Bildung, die schon nach 1968 mit dem Aufkommen der Massenuniverstäten und einem linken Bildungsverständnis, das humanistische Bildung nicht etwa für die Massen nutzbar machte, sondern dieses für bourgois und unnütz hielt – verflachte zunehmend. Das Humboldt`sche Bildungsideal, das auf Vernunft setzte, auf Autonomie, Selbstbestimmung und Mündigkeit des Bürgers und den größten Wert auf die Vermittlung der Werte der Aufklärung, die Befähigung zum Denken und dem politischen Engagement legte, wurde abgelöst von einem Bildungskonzept, das vor allem darauf setzt, junge Menschen auf ein globalisiertes, ökonomisches Wettbewerbs-, Leistungs- und Erfolgsdenken zu konditionieren. Umso weniger Zeit die Menschen zum Nachdenken,  Reflektieren und Erkennen von Zusammenhängen haben, desto gefügiger und anpassungsfähiger werden sie. Wenn man die Zusammenhänge von den scheinbar „anonymen Mächten, die die Welt beherrschen und steuern“, nicht mehr rational durchschaut, weil man die historischen, soziologischen, psychologischen und wirtschaftlichen Zusammenhänge nicht versteht, wird man schnell anfällig für Verschwörungstheorien, einfachen Welterklärungsmustern und gefühlsbasierten Meinungsbekundungen. Mit dem neuen kompetenzorientierten Unterricht – so gut gemeint die Idee auch ist -,  wird sich dies noch verschärfen. Wenn junge Menschen, die aus einer angeblich freien, potenzialfördernden Schule kommen, stolz verkünden, dass sie sich als Unternehmerinnen fühlen und ihre Schule eigentlich als gut geführtes, selbstorganisiertes Unternehmen betrachten, dann hat der Geist des Kapitalismus gesiegt und von seinem Abdanken oder seiner Überwindung kann gar keine Rede sein.

Mit der Schröder-Regierung begann die große Umverteilung von unten nach oben – erstaunlicherweise ohne großen Widerspruch aus der Bevölkerung. Wenn Menschen sich von Existenznot betroffen fühlen (zunehmende Auflösung einst stabiler Arbeitsverhältnisse, permanente Flexibilisierungs- und Privatisierungsschübe, die Angst vor dem sozialen und wirtschaftlichen Abstieg) werden sie gefügig und halten den Mund. Schon Brecht hatte erkannt: Erst kommt das Fressen, dann die Moral. Der Neoliberalismus und mit ihm ein ungezügelter, globaler Finanz-Kapitalismus konnte sich jetzt nahezu ungehindert über die ganze Welt verbreiten. Es gibt kein „Außen“ mehr, keine andere Gesellschafts- oder Wirtschaftsform, die eine echte Alternative darstellen würde. Eine neue Linke, die sich wirklich transformiert und aus ihrem alten marxistischen Schubladendenken des 19. Jahrhunderts heraustritt, ist nicht in Sicht. Die Gewerkschaften und die Partei-Linke träumen davon, die alte Vollbeschäftigung mit den Normalarbeitsverhältnissen der 1970er Jahre wieder herstellen zu können und erhalten lieber Arbeitsplätze am Laufen, die am Kohleabbau gebunden sind, als nach echten, sozialen Alternativen und einem Ausstieg aus der Arbeitsgesellschaft zu suchen. Die Postwachstums-Bewegung ist noch zu diffus, besteht überwiegend aus jungen Menschen und mutet derzeit noch eher wie eine „Jugendbewegung“ an denn als ernstzunehmende Alternative. Vor allem ist ihr vorzuwerfen, dass ihre AnhängerInnen –  überwiegend aus dem Mittelstand kommend –  kaum Berührungspunkte zu der nicht akademischen Bevölkerung im eigenen Land haben. Ihr Blick ist international ausgerichtet, ihre Kommunikationssprache überwiegend englisch und die Flüchtlingsthematik ist ihnen weitaus näher als das Prekariat im eigenen Land, mit dem sie so wenig wie möglich zu tun haben will. Die einzigen, die sich gegenwärtig sichtbar zusammenschließen und ein Gegengewicht gegen die allgegenwärtige Marktmacht und ihrer Auswirkungen bilden, sind rückwärtsgerichtete Kräfte, die das nationalistische und rassistische Gedankengut des letzten Jahrhunderts wieder zelebrieren, ohne jedoch die Marktwirtschaft als solche und den neoliberalen Überbau wirklich in Frage zu stellen. Die AFD ist eine durch und durch neoliberale Partei, das bemerkt nur niemand ihrer Wähler, weil sie einzig und allein auf ihr  politisches Aushängeschild – der Angst vor der Islamisierung des Abendlandes – fixiert sind. Die zweite  Gegenmacht sind die konservativ, islamisch geprägten Länder – wie die Türkei – , die sich zwar gern mit den technischen und marktwirtschaftlichen Errungenschaften des Kapitalismus schmücken möchten, aber ansonsten nichts von den Werten der Aufklärung, der Gleichberechtigung von Mann und Frau und demokratischer Werte halten, sondern von einem neuen osmanischen Großreich als Gegenpol „träumen“.

Mit dem Aufkommen der New Economy in den 1990er Jahren setzte ein Wandel in der Arbeitswelt ein, der auch einst kritische Positionen beeinflusste. Plötzlich musste man sich – wenn man jung und hipp war -,nicht mehr für oder gegen eine sinnentleerte Karriere entscheiden und im Falle des „Dagegen-seins“ ein zwar von marktwirtschaftlichen Zwängen weitgehend befreites, dafür aber recht prekäres Leben führen, sondern man konnte plötzlich beides haben: Sich selbst verwirklichen, das System „verändern“ und gleichzeitig Geld verdienen. Die jungen GründerInnen machten es vor, wie man hipp sein, kooperative Arbeitsverhältnisse auf Augenhöhe eingehen, das Hobby zum Beruf machen, feiern bis zum Umfallen und gleichzeitig problemlos an Risikokapital kommen und richtig satt Kohle machen konnte. Politisches Denken war out – also konnte man auch gleich das Bestmögliche aus dem Bestehenden herausholen. Es ging nicht mehr um Systemveränderung, sondern darum, die Regeln des Systems für die eigenen Bedürfnisse zu nutzen und umzuschreiben. Auch wenn die Blase geplatzt ist, veränderte sich etwas in den Köpfen. Gleichzeitig begriff auch die Old Economy, dass sie ihre Strukturen verändern musste, wenn sie die jungen Kreativen für sich gewinnen wollte. Der Verbindung von Arbeit und Leben im Kontext der Marktlogik stand nichts mehr entgegen. Die Arbeitswelt bekam einen neuen Schub. Der Ruf nach Potenzialentfaltung, Sinn, Arbeitsverhältnissen auf Augenhöhe, Mitbestimmung und Selbstorganisation wurde laut.

Wenn wir heute über neue Arbeitsverhältnisse, Unternehmenskulturen und die Umgestaltung der Arbeitsgesellschaft sprechen, müssen wir sehr genau hinschauen, in welchem philosophischen und weltanschaulichen Kontext wir uns da eigentlich bewegen. New Work, Arbeit auf Augenhöhe, Potenzialentfaltung, Selbstorganisation, Kooperation/Kollaboration und die Etablierung einer neuen Beziehungskultur sind Begriffe und Vorstellungen, die derzeit aus fast allen gesellschaftlichen und politischen Lagern gefordert werden. Aber auch wenn alle von dem gleichen sprechen, ist noch lange nicht dasselbe gemeint.

Der Begriff „New Work“ ist von dem Sozialphilosophen Fritjof Bergmann benutzt worden, um – im Zuge der in den 1990er Jahren entstandenen Debatte über das „Ende der Arbeit“ – Alternativen zur Arbeitsgesellschaft zu entwickeln. Sein Konzept in Kürze erklärt und ohne tieferliegende Aspekte zu berücksichtigen, bestand darin, Konzerne wie General Motors dazu zu bringen, anstatt Massenentlassungen zu veranlassen, die Menschen in Teilzeit weiter zu beschäftigen und ihnen parallel zu ermöglichen, ihre Berufung zu finden, um sich darüber eine neue Existenz aufbauen zu können. Hier liegt allerdings schon die Crux begaben, denn Bergmanns Konzept verließ die Logik der Marktwirtschaft nicht. Die neu entdeckten Berufungen – Töpfern, Nähen, Kuchen backen – führten überwiegend nicht zu einem existenzsichernden Einkommen. Dennoch: Die soziale Innovation des heute über 80jährigen bestand darin, weniger gebildeten Menschen – Industrie-ArbeiterInnen und Besitzlosen überwiegend in den Ländern des Südens – Instrumente der Selbstermächtigung in die Hand zu geben. Schon in den 1980er Jahren gründete er sein erstes „Institut für Neue Arbeit“ in Flint, Detroit. In seiner Philosophie würden die Menschen künftig nur noch ein Drittel ihre Zeit mit Job-Arbeit verbringen, ein weiteres Drittel mit dem Entdecken der eigenen, intrinsischen Motivation (Berufung) und das letzte Drittel mit hoch technologisierter Eigenarbeit. Die Idee eines Fabricators (heute im Bereich des Machbaren durch 3-D-Druck, offenen Werkstätten, dem Commons-Gedanken und der Open Source Ecology), der den Menschen ermöglichen würde, in Umgehung von kapitalistischen Produktionsprozessen, die Dinge des täglichen Bedarfs selbst herzustellen und mit Hilfe von vertikalen Gärten (Erlangung weitgehender Nahrungssouveränität) sich selbst das Gemüse anzubauen, stammen von ihm.

Heute wird der Begriff „New Work“ in einem völlig anderen Kontext verwendet. Er wird von leistungs- und erfolgsorientierten High-Potenzials, jungen dynamischen Führungskräften und UnternehmerInnen genutzt, um ihre Unternehmen für die  globalisierte Wettbewerbswelt zu stärken und die MitarbeiterInnen durch eine psychologisch kalkulierte Unternehmenskultur, angeführt von Psychologen, Coaches und Beratern – gefügig zu machen und in ein selbst- und Gruppen kontrolliertes Selbst-Optimierungskonzept zu „zwingen“, das äußere Kontrolle überflüssig macht, weil die Gruppe das schon selbst erledigt.

Wenn Menschen miteinander im Kollektiv auf Augenhöhe arbeiten, dann steht dahinter der Wunsch, aus dem Korsett des Kapitalismus auszubrechen. Das gemeinsame Arbeiten findet unter Gleichen statt – ohne Chef, ohne Führung, ohne hierarische Kontrolle. Die Menschen, die sich in Kollektiven und in selbstorganisierten Arbeitsverhältnissen auf Augenhöhe zusammenfinden, suchen nicht nach einer neuen Leadership-Kultur, in der einige wenige den Anderen zeigen, wo es langgeht und wie sie „bessere Menschen“ werden können, sondern sie suchen nach Methoden kooperativer Aushandlungsprozesse, um Augenhöhe und Gleich-Wertigkeit gerecht zu leben und in immer wiederkehrenden Prozessen miteinander neu auszuhandeln. Ja, das ist anstrengend, bringt aber den zunächst immateriellen Gewinn, dass man eine ehrliche und authentische Beziehungskultur aufbauen kann. Die Weiterentwicklung von kollektiven Arbeitsverhältnissen – wie sie in den 1970er Jahren experimentiert wurde – findet sich heute in Commoning-Prozessen.

„Die Tätigkeit des commoning braucht Vertrauen zueinander und Respekt und Verantwortung füreinander und für das gepflegte commons. Sie hat einige Besonderheiten:

  • Es geht um Beitragen statt Tauschen, commons-Beziehungen sind also keine Marktbeziehungen. Commons können nicht ge- oder verkauft werden, sie können aber zur Herstellung von Waren verwendet werden, die dann verkauft werden. Jede und jeder tragen bei, was sie können, alle nutzen, was sie zum Leben brauchen.
  • Commoning ist geprägt von Kooperation, schließt jedoch Wettbewerb nicht aus. Dieser wird allerdings nicht zum leitenden Prinzip.
  • Alle NutzerInnen des commons bestimmen gleichberechtigt über die Regeln der Nutzung mit. Alle übernehmen auch Verantwortung für das common.

Commoning ist eine Tätigkeit, die nicht nur bestimmte soziale Fähigkeiten braucht, sondern diese auch hervorbringt. Commoning führt zu grundsätzlich anderen sozialen Beziehungen als das Konkurrenzsystem der Marktwirtschaft und damit auch zu mehr sozialer Qualität einer Gesellschaft mit vielen commons.“

https://blog.commons.at/commons/was-ist-commoning/

 Die junge Gründerszene, in der ebenfalls Sinn, Augenhöhe, Potenzialentfaltung und Nachhaltigkeit auf der Wunschliste stehen, unterscheidet sich von Commoners und Kollektivbetrieben grundsätzlich in ihrer Haltung. Während Commoners eine Alternative zum Neoliberalismus und der Marktwirtschaft errichten – (Solidarische Landwirtschaft, Transitiontown-Projekte, offene Werkstätten, Urban Gardening, genossenschaftliche Wohnprojekte uvm.), die von den jeweiligen Commoners gemeinsam genutzt und verwaltet werden – , stellen die jungen GründerInnen die Marktlogik als solche nicht in Frage. Sie wollen von allem nur ein bisschen weniger: ein bisschen weniger Konkurrenz, ein bisschen weniger Konsum, ein bisschen weniger Ausgebranntsein, ein bisschen weniger Wachstum, ein bisschen weniger Gehaltsspreizung, dafür ein bisschen mehr Wirtschaftsethik, ein bisschen mehr Augenhöhe (Hierarchien und Führungskultur als solche werden nicht in Frage  gestellt, nur anders organisiert), ein bisschen mehr Potenzialentfaltung und Beziehungskultur. Bei den idealistischen GründerInnen herrscht die Vorstellung, man könne die Wirtschaft zum „Guten“ verändern, ohne den Kapitalismus als Wirtschaftsform und den Neoliberalismus als Gesellschaftsform in Frage zu stellen. Deshalb findet sich hier – wie übrigens auch in großen Bereichen der sehr heterogenen Postwachstumsbewegung – diese merkwürdige Hinwendung zur Spiritualität und einer diffusen Innerlichkeit, die weniger auf radikale Ehrlichkeit, Offenheit und Konfliktaustragung setzt, denn auf oberflächliche Nettigkeiten und Verbundenheits“gefühle“. Nach den verheerenden Auswirkungen totalitärer Herrschaftssysteme (Faschismus, Stalinismus, Sozialismus) glaubt man nicht mehr an politische Lösungen, dafür merkwürdigerweise aber an spirituelle und therapeutische Heilversprechen. Wenn wir uns alle nur menschlich in Liebe und Wertschätzung verbinden, die Natur und ein höheres Wesen ehren, wird alles gut.  Denn im Grunde genommen sind wir doch alle Menschen und im Ur-Grund alle gleich. Ken Wilbers integrale Theorie und mit ihm im Bunde „Spiral Dynamics“, eine Theorie über die Entwicklung von menschlichen Weltanschauungsebenen, einer Theorie, die von Don Beck und Chris Cowan auf der Grundlage der Theorien von Clare W. Graves entwickelt wurde, suggerieren eine neue Einheitstheorie -diesmal jedoch nicht von Physikern ersonnen, sondern von esoterischen Psychologen und Managern – , unter der sich alle anderen auf einer höheren evolutionären Bewusstseinsstufe subsumieren lassen sollen. Wir sind also mal wieder dabei, an den neuen Übermenschen zu glauben und die neuen Spiral-Dynamic-BeraterInnen (ManagerInnen, PsychogInnen und Coaches) ziehen durchs Land, um Unternehmen, ganze Staaten und Regierungen im Sinne einer allgemeinen „Harmonisierung“ „umzuprogrammieren“. Wer einen kleinen Vorgeschmack auf das haben möchte, was auf uns zukommt, braucht sich nur die „kurze Gebrauchsanweisung“ im vierten Teil „Weltordnung und -chaos auf der dynamischen Spirale“ in „Spiral Dynamics – Leadership, Werte und Wandel – Eine Landkarte für Business und Gesellschaft im 21. Jahrhundert“ von Don Edward Beck und Christopher C. Cowan durchlesen. Hier werden Anklänge an einen psychologisch-initiierten Totalitarismus geweckt, der alle anderen Totalitätssysteme in den Schatten stellen wird. Wir tauchen in eine neue Spielart des Neoliberalismus ein, die unsere Arbeits- und Lebenswelt, unser Denken, Fühlen, Handeln und unsere Kultur, so umfassend verändern wird, dass es schwierig werden wird, daraus wieder zu entkommen. Der neue Kapitalismus wird ein durch und durch psychologisierter sein. In ihm werden die Gefühle der Menschen zu einer manipulierbaren Ware. Denn die Postmoderne mit ihrem „alles ist möglich, alles ist relativ, alles ist wahr und nichts ist wahr“ hat es ja zum Glück geschafft, Standpunkte, Verbindlichkeiten, Werte, geschichtliche Zusammenhänge nahezu auszulöschen. Wenn es aber keine Verortung mehr für die eigene Wahrnehmung und Beurteilung von Geschehnissen gibt, wird der Mensch dem Kalkül charismatischer WelterklärerInnen hilflos ausgeliefert.

Nachdem alle anderen Ressourcen zur Neige gehen, gilt es jetzt die Ressource Mensch bis zu seiner Unkenntlichkeit auszupressen. Es ist höchste Zeit, dass wir aus unserer verspielten, experimentellen Postwachstumskuschelecke herauskommen und wieder ein „Außen“ errichten, ein Außen, das dem Kapitalismus das entzieht, was er am meisten benötigt: die menschlichen Ressourcen: Kreativität, Gedanken, Gefühle. Eine andere politische Wirklichkeit ist möglich mit einer bedürfnisorientierten, selbstorganisierten Produktion in Umgehung von Märkten und Konzernen. Wir müssen (wieder) den Mut haben zu streiten, Differenzen zu benennen, Konflikte offen auszutragen und sie nicht in einem „bloß-niemanden-wehtun-Kuschelmodus“ bis zur Unkenntlichkeit zu verdecken und uns nur noch auf dem kleinsten gemeinsamen Konsens-Nenner zu bewegen. Echte Demokratie lebt von unterschiedlichen Interessensgruppen und Positionen, die auf Augenhöhe immer wieder neu ausgehandelt werden müssen – zwischen Freien und Gleichen -, nicht zwischen Parteien, Lobbygruppen und Wirtschaftunternehmen.

Worum es geht,  bringen Holm Friebe und Sascha Lobo in ihrem 2006 erschienenen Buch „Wir nennen es Arbeit – Die digitale Bohème oder Intelligentes Leben jenseits der Festanstellung“ auf den Punkt:

„Wenn Naomi Klein die Notwendigkeit einer radikalen Opposition ableitet aus einem düsteren Szenario der Marken-Welt als „faschistischen Staat, in dem wir alle Logo huldigen und wenig Kritikmöglichkeiten haben, weil alle Zeitungen, Fernsehstationen, Internetserver, Straßen und Einkaufsflächen von multinationalen Konzernen kontrolliert werden“ – dann antworten Heath und Potter zu Recht: „Die Kultur lässt sich nicht unterlaufen, weil es „die Kultur“ oder „das System“ gar nicht gibt. Es gibt nur eine Fülle von gesellschaftlichen Institutionen, bunt zusammengewürfelt, um die Vorteile und Lasten gesellschaftlicher Kooperation aufzuteilen – auf eine Weise, die wir manchmal richtig finden und die normalerweise äußerst ungerecht ist. Gegenkulturelle  Rebellion ist in einer solchen Welt nicht nur wenig hilfreich, sie ist regelrecht kontraproduktiv. Sie lenkt nicht nur Energien und Anstrengungen von Initiativen ab, die das Leben der Menschen konkret verbessern wollen, sie fördert auch pauschale Verachtung der schrittweisen Veränderungen.“ S. 129/130, Heyne TB, 2. Aufl. 2008

Ich denke, hier wird deutlich, wie stark das neoliberale Glaubenssystem schon einige Gehirne vernebelt hat, in dem so getan wird, als gäbe es gar keine Macht- und Herrschaftsverhältnisse mehr und wenn wir uns nur alle genug auf unsere Arbeit konzentrieren, dann werden wir die Dinge schon verändern. Maggi Thatchers Spruch „Es gibt keine Gesellschaft, nur Individuen“, mit dem sie quasi das Zeitalter des Neoliberalismus eingeläutet hat, erzielt hier seine volle Wirkung.

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