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Arbeit als Pflicht oder Kür?

Ein polemischer Streifzug durch eine neoliberale Arbeitswelt im Aufbruch

„Es war einmal eine Zeit, da schien die ganze Welt auf einem gemeinsamen Weg in Richtung Demokratie und Marktwirtschaft zu sein. Die einen waren schon weit vorangeschritten, die anderen beeilten sich aufzuschließen. Künftig würde es keine konkurrierenden wirtschaftlichen und politischen Systeme geben, nur noch verschiedene Spielarten des liberalen Kapitalismus. Die am Ende des Zweiten Weltkriegs besiegelte Teilung Europas war endlich überwunden. Handelsbarrieren fielen, die Weltwirtschaft boomte, Computer und Internet begannen ihren Siegeszug. Es war ein Zeitalter der Zuversicht.“

Ralf Fücks „Kampf um die Moderne

Die klare Trennung von Arbeit und Leben, von Beruf- und Privatleben, Freundschafts- und KollegInnen-Verhältnissen, dem Austausch von „persönlichen Befindlichkeiten“ im Privaten und der professionellen, eher sachlich geprägten Rolle im Beruf hatte jahrzehntelang den Sinn, das „Ich“, die Persönlichkeit des Menschen in seiner Vielschichtigkeit und Verletzlichkeit vor dem Zugriff des Ökonomischen zu schützen, einem Bereich, in dem nicht der Mensch als solcher gilt, sondern die Logik des Marktes regiert. Umso mehr jedoch der Neoliberalismus in Verbindung mit seiner ihn stützenden Wirtschaftsform – der freien Marktwirtschaft – und dem philosophischen Konstrukt des Kulturrelativismus, der sich aus den verschiedenen Spielarten des Konstruktivismus speist, in alle Lebensbereiche vordringt, werden das Private und das Ökonomische zunehmend vermischt und kapitalisiert. Die Privatheit des Menschen, die metaphysischen Fragen nach dem Sinn, dem Woher und Wohin, die ganze Palette seiner reichen Gefühlswelt, die Fähigkeit des Menschen zu lieben, zu trauern, Freude, Wut, Eifersucht, Neid, Glück und Mitgefühl zu empfinden – werden zunehmend in die ökonomische Welt adaptiert und für die Marktlogik ausgeschlachtet. Die exponierten VertreterInnen dieses Gesellschafts- und Wirtschaftssystems haben nämlich erkannt, dass Menschen weitaus produktiver, motivierter und manipulierbarer werden, wenn man ihnen das Gefühl gibt, dass sie sich mit ihrer ganzen Persönlichkeit in das Unternehmen einbringen können. Die neuen Zauberworte Potenzialentfaltung, Sinn, Kollaboration, neue Führungskultur (Leadership), „Selbstorganisation“, Verbindung, Netzwerk- und Beziehungskultur werden zunehmend zu neuen Macht- und Herrschaftsinstrumenten, um Menschen in ungleichen Arbeitsverhältnissen noch gefügiger zu machen. Multinationale Unternehmen gestalten ihre Arbeitsräume zu  „Wohnzimmern“ um, bieten plauschige Ecken, in denen ganz „zwecklos“ miteinander kommuniziert werden kann, inszenieren regelmäßige Mitarbeiter-Events, in denen Gemeinsamkeit und Zugehörigkeit zelebriert werden und geben so den Mitarbeitern das Gefühl, als wäre die Arbeit nicht Teil des Lebens, sondern das Leben selbst. Weiterlesen