Arbeiten 4.0

by design or by desaster?

Industriealisierung 4.0, Arbeiten 4.0 und Digitalisierung sind in aller Munde. Regierung und Wirtschaft sind sich einig: Es wird gravierende Umwälzungen geben. Doch was genau kommt da eigentlich auf uns zu?

Ein Bericht von der Konferenz „Arbeiten 4.0 – Die Halbzeitkonferenz“ der Bundesregierung vom 15.03.2016 im „Kosmo“s Berlin

 Digitalisierung und das neue Dienstleistungsproletariat

In einem Bericht vom IAB – Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung „Verheißung oder Bedrohung? Die Arbeitsmarktwirkungen einer vierten industriellen Revolution – heißt es, dass lt. einer amerikanischen Studie aus dem Jahr 2013 von Frey und Osborne , im Zuge der Digitalisierung 47 % der bisherigen Arbeitsplätze wegfallen würden. Das IAB selbst schreibt, dass „seit Anfang/Mitte der 1980er Jahre […] weltweit in den entwickelten Ländern die Arbeitskräfte mit einfachen Qualifikationen zu den Verlierern – sowohl in den Beschäftigtenanteilen als auch in der Bezahlung [gehören]. Die Lohnschere geht auseinander, die Arbeitslosigkeit der Geringqualifizierten erreicht Höchststände.“ Wie immer wird prophezeit, dass auch diesmal neue Arbeitsplätze die alten ersetzen werden. Fakt aber ist, dass diese hochspezialisiert, digitalisiert und auf WissensarbeiterInnen zugeschnitten sein werden. Routinetätigkeiten, einfache Tätigkeiten nach Anweisungen verschwinden, sollen im industriellen Sektor durch Technologien ersetzt werden. Aber was geschieht mit der wachsenden Zahl der Unqualifizierten dieser Welt, die zunehmend ihr Glück in den westlichen Industrienationen suchen? Was mit den Menschen mit einfachen Berufen? Den Menschen  im unteren Dienstleistungsgewerbe, den vielen MigrantInnen mit anderem Bildungs- und Ausbildungsbackground? Den jungen Menschen, die nicht mindestens den mittleren Bildungsabschluss schaffen?

Die Sockelarbeitslosigkeit bleibt, wird sich vergrößern und mit ihr der Niedriglohnsektor, in dem schon jetzt laut des vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales im April 2015 herausgegebenen „Grünbuch – Arbeit weiter denken – Arbeit 4.0“ –  „der Anteil der Beschäftigten mit niedrigen Löhnen […] in den vergangenen 15 Jahren deutlich gewachsen [ist]. Im Jahr 2012 war fast jeder vierte Arbeitnehmer im Niedriglohnsektor beschäftigt (Frauen 31 %, Männer 18 %) (S. 55) Aber welche Arbeitsbereiche sind überhaupt im Niedriglohnsektor angesiedelt? Überwiegend sind es Tätigkeiten im unteren Dienstleistungssektor:  Gebäudereiniger, Paketzusteller, Wach- und Sicherheitspersonal, Pflegehilfskräfte, Gastgewerbe, Friseursalons und Billigläden. Und bald werden weitere Menschen hier ihre „Heimat“ finden, wollen sie nicht in Dauerarbeitslosigkeit verharren. Das Gehalt ist gering, die Arbeit körperlich anstrengend. Im Durchschnitt werden für eine Vollzeitstelle in Berlin 700 – 1.400 EUR brutto gezahlt. In der Regel sind diese Stellen befristet und werden über Arbeits- und Personalvermittlungen geschlossen. Eine boomende Wachstumsbranche im Niedriglohnsektor hat sich etabliert, weil immer mehr übers Internet bestellt wird, die WissensarbeiterInnen im höheren Dienstleistungssektor Personal für Reinigung, Botengänge, Sicherheit benötigen, der exklusive Urlaub im eigenen Land immer attraktiver wird und  die Alterung der Gesellschaft voran schreitet. „Es gibt deshalb viel zu verdienen mit den einfachen Dienstleistungen. Nur lässt sich die Arbeit mit der Hand hier kaum durch die Greifer eines Roboters ersetzen. Die Profitsteigerung durch technische Rationalisierung sind gerade bei den einfachen Dienstleistungen natürliche Grenzen gesetzt…Mehr verdienen kann der Arbeitgeber daher nicht durch den Einsatz von Maschinen, sondern allein durch Druck auf den Menschen.“  (Heinz Bude, Gesellschaft der Angst, Hamburger Edition, 2014, S. 85/86) Mittlerweile sprechen wir von einem neuen Proletariat, das sich gebildet hat, dem Dienstleistungsproletariat. Im Gegensatz zum klassischen Industrieproletariat ist dieses „weiblicher, ethnisch heterogener und qualifikatorisch diffuser“ (S. 87, Bude). Es besteht aus Frauen, ArmutsmigrantInnen und generell niedrigqualifizierten Menschen. Gewerkschaftlich sind sie kaum organisiert. Da sie in der Regel prekär beschäftigt sind, gibt es auch keinen Betriebsrat, der für sie zuständig wäre.

Die „einfachen Dienste“ seien seit Jahren „ein Experimentierfeld der Automatisierung„, schreibt Philipp Staab. Komplexere Dienstleistungen, die früher interaktives Verhalten zwischen Personal und Kunden beinhalteten,  werden auf den Kunden selbst übertragen (Selbstkassiererkassen bei IKEA, Eigen-„Beratung“ bei Amazon und in Läden wie „Zara, Kik oder McDonalds“ sei den Beschäftigten die Beratung sogar offiziell untersagt). Die Rationalisierung der einfachen Tätigkeiten erfolgt über Standardisierung, Universalisierung und Verdichtung. Dies hat für die ArbeitnehmerInnen in den unteren Rängen gravierende Folgen: Die physischen Anforderungen steigen ständig – Heben, Schieben, Räumen, Tragen, Säubern – prägen den Arbeitsalltag des „Servicepersonals“ (Paketboten, Raumpflegerin oder Servicekraft im Supermarkt). Im Gegensatz zur erwarteten digitalen Welt wird hier nicht der ganze Mensch mit Problemlöse-, Lern- und Selbstorganisations-Kompetenzen verlangt, sondern nur der Einsatz des Körpers und der verschleißt unter diesen Bedingungen schnell.( Dr. Philipp Staab: „Einfache Dienstleistungen“ in der Wertschöpfungskette“ )

Wachstum, Wohlstand, Wettbewerb

Mit der Auftakt-Konferenz „Arbeiten 4.0 – Die Halbzeitkonferenz“ am 15.03.2016 im „Kosmos“/Berlin soll das sogenannte Weissbuch vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf den Weg gebracht werden. Es soll sich mit  Lösungsansätzen für eine sanfte Umgestaltung zur digitalen Arbeitswelt beschäftigen. Fachleute und Bevölkerung waren aufgerufen sich mit eigenen Ideen daran zu beteiligen.

Schon im Vorfeld fällt auf, dass Begriffe wie Postwachstum, Nachhaltigkeit, Entschleunigung, Suffizienz – und damit auch eine nachhaltige Umgestaltung der Arbeitsgesellschaft – weder im Grünbuch noch in den einzelnen Panels der Konferenz auch nur ansatzweise erwähnt werden. Die Postwachstums- und Nachhaltigkeitsbewegung ist bei der Bundesregierung noch nicht einmal als winzigste Gedankenform angekommen. Alternativlos  bildeten dann auch die drei W’s – Wachstum, Wohlstand, Wettbewerb – den allzeit beliebten Fokus, den es auszugestalten gilt. Leistung, der Wirtschaftsfaktor Deutschland, die großen Chancen, die in der Digitalisierung der Arbeitswelt stecken, waren die zentralen Themen der Konferenz. Der Arbeitsmarkt sei so gut, wie lange nicht mehr, wurde schon im „Grünbuch“ geschwärmt. Vollbeschäftigung in einigen Regionen fast erreicht. Doch der Boom am Arbeitsmarkt ist teuer erkauft. 8,4 Mio. Menschen arbeiten im Niedriglohnsektor zu Stundenlöhnen  von unter 9, 30 EUR. (Dr. Philipp Staab, „Einfache Dienstleistungen“ in der Wertschöpfungskette“)

Prekäre Beschäftigungsverhältnisse, Niedriglohn und Standardisierungen einfacher Arbeiten erzeugen das  wachsende „Dienstleistungsproletariat“. Ja, einige könnten wohl auf der Strecke bleiben, aber ganz so schlimm würde es schon nicht kommen, tönen die Leistungs- und Innovationswilligen. Und da die oben erwähnte Frey und Osborne – Studie ein doch zu erschütterndes Bild auf die Zukunft wirft, hat die Bundesregierung selbst eine Studie in Auftrag gegeben, beim Mannheimer Forschungsinstitut ZEW, das zu dem Ergebnis kommt, das nur 12 % der Arbeitsplätze bedroht seien. (Quelle: https://netzoekonom.de/2015/06/18/die-digitalisierung-gefaehrdet-5-millionen-jobs-in-deutschland/) Darauf zurückgreifend spricht auch Prof. Dr. Joachim Möller vom IAB – Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung auf der Konferenz von 10 – 15 %. Stellt man dagegen die Zahlen einer Studie der Ing. Diba, die ebenfalls Frey und Osborne als Vorlage genutzt hat, liest man, dass die Amerikaner noch milde untertrieben hätten. Hier zu Lande würde uns die Digitalisierung sogar in einigen Berufsgruppen ganze 86 % der Arbeitsplätze kosten. Da kann man sich die hämische Bemerkung: Welche Studie hätten Sie denn gern, welche passt besser ins Konzept? kaum verkneifen. Studie hin, Studie her: Fakt ist, dass sich seit ungefähr der 90er Jahre die Arbeitssituation für die unteren und mittleren Bevölkerungsschichten nicht nur in Deutschland, sondern in den meisten europäischen Ländern und der globalen Welt rapide verschlechtert hat.

Bildung, Bildung über alles

Aber wie will man die sanfte Umgestaltung zur digitalen Wirtschaftswunderwelt bewerkstelligen? Wie sehen die Qualifizierungsbedarfe einer technologisch orientierten Wirtschaft aus, die im globalisierten Kapitalismus den Kampf um die besten Plätze bestehen will? Die Angestellten, die lediglich ihre Arbeitskraft von 9 to 5 verkaufen, geregelte Arbeitszeiten und Aufgabengebiete haben, gehören endgültig ins Archiv der Industriegeschichte. Es brauche vor allem Lernkompetenz: Lernen wie man lernt, Problemlöse- und Kommunikationskompetenz – das seien die Schlüsselkompetenzen der Zukunft, argumentiert Christine Ramb, Abteilungsleiterin Arbeitsmarkt vom BDA, Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände auf dem Panel  „Weiterbildungs- und Qualifikationsbedarfe“ der Konferenz „Arbeiten 4.0“ und diese müssten bereits in der frühkindlichen Bildung vermittelt werden. Und Jens Kettler von Edeka und Vorsitzender des HDE-Bildungsausschusses ist davon überzeugt,  dass Digitalisierung bereits in Kindergarten und Schule beginnen müsse. Durch die lange Schulbildung würden die Menschen heute wenig können. Sie hätten kaum Sozialkompetenzen und keine praktischen Erfahrungen. Auch die Qualifizierung durch die Jobcenter müsse sich ändern. Es reiche heute nicht mehr, jedem Geringqualifizierten einen Gabelstapler-Schein zu verpassen. Digitale Weiterbildung gehöre zu den notwendigen Schlüsselkompetenzen. Wichtig sei das “ Learning on demand“ auf Smartphones und Handys, denn man müsse sich permanent auf neue Situationen einstellen können. Es ist an der Zeit von der formalen Bildung Abschied zu nehmen – vom „Bulimie lernen“, hin zum selbstorganisierten Lernen. Lernunwilligen könnte man den Spaß am Lernen am besten vermitteln, wenn diejenigen gar nicht merken würden, dass sie etwas lernen. Das Problem sei eben auch, dass ganz normale Handlungskompetenzen von zu Hause nicht mehr mitgebracht würden. Deswegen müssten Problemlösekompetenzen nachträglich gelehrt werden. Hilmar Höhn, Leiter der Abteilung Politik, IG BCE (Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie) weiß, dass bei den Ungelernten am wenigsten passiert. Deshalb müsse die Bildung zum Gegenstand der Arbeitsmarktpolitik gemacht werden. Die beste Bildung sei nicht nur auf den Beruf beschränkt, sondern bilde Menschen auch als Demokraten aus. Es brauche eine demokratische Grundausbildung und nicht nur die Fixierung auf die MINT-Fächer. Geisteswissenschaftliche Bildung hätte mindestens gleichwertige Bedeutung. Jugendliche, die keine Grundausbildung hätten, müssten vor allem mit sozialen Kompetenzen ausgestattet werden. Dann könnten sie die Hauptschule bestehen und zum Beispiel eine Ausbildung als Chemielaborant absolvieren. Und auch Regina Offer, Hauptreferentin des Dezernats Arbeit, Jugend, Gesundheit und Soziales, Deutscher Städtetag, sucht nach neuen Möglichkeiten Bildungsferne an den Arbeitsmarkt heranzuführen. Sie schlägt individuelle Maßnahmen vor, in denen die Selbstorganisation gestärkt wird. Lerninhalte müssten praktisch vermittelt werden, Beschäftigung und Qualifizierung müssen zusammenfließen für Menschen, die nicht im herkömmlichen Sinne lernen können.

Ideal, Wirklichkeit und mögliche Lösungswege

Selbstorganisation, Empowerment, Kommunikations- und Problemlösekompetenzen, Demokratiebewusstsein, Handlungs- und Entscheidungskompetenzen…das sind die Lernfelder, die es auch für eine Postwachstumswirtschaft bedarf. Dazu kooperatives Arbeiten auf Augenhöhe, bei denen sich die Agierenden ihrer Kompetenzen voll bewusst sind und soziale, emphatische Umgangsweisen pflegen. Doch leider stehen diese Anforderungen an die Potenzialentfaltung des Menschen noch im deutlichen Widerspruch zur derzeitigen bundesdeutschen Realität. Denn diese Qualifizierungsbedarfe der Zukunft werden an unseren auf Leistung getrimmten Schulen, den Bachelor- und Masterstudiengängen  der Unis, den Weiterbildungsinstituten und bei den Bildungsträgern rund um die Jobcenter kaum vermittelt. Hinzu kommt, dass gerade im Niedriglohnsektor die ArbeitnehmerInnen heute  eher de- als qualifiziert werden. Wenn Menschen im unteren Dienstleistungssektor immer mehr auf rein funktionale Körperarbeiten gedrillt werden, die wie die früheren IndustriearbeiterInnen nur noch stumpfsinnige, zeitlich getacktete, standardisierte Tätigkeiten ausüben, wird es schwierig werden mit der Selbstorganisation, der Lern- und Problemlösekompetenz. Da stehen sich zwei Welten im Wege – der boomende Niedriglohnwachstumsmarkt und die digitalisierte Wachstumswirtschaft.

Um hier gegen zu steuern, braucht es andere Lösungen als die alternativlosen drei Ws – Wachstum, Wohlstand, Wettbewerb – der Bundesregierung und Wachstumswirtschaft. Es braucht Lösungsmöglichkeiten, die in den sozialen Bewegungen vorgedacht und -gelebt werden und es braucht ein neues Klassenbewusstsein der „unteren Ränge“, um Selbstwirksamkeit, Empowerment und Selbstbewusstsein zu entwickeln. Der Einsatz des Körpers, schreibt Staab, ist oft die einzige „Erfahrung diffuser Selbstwirksamkeit und innerer Größe„. Das wundert kaum, kann ein Mensch schwer jahrelang eine Tätigkeit ausüben, mit der er sich nicht auch nur ansatzweise identifizieren kann. „Zum anderen könnte der Körper als bedeutungsvolle Kategorie des Stolzes in einem größeren gesellschaftlichen Kontext gestellt werden. … Der entscheidende Kniff für nachhaltige Unterstützung von Selbstorganisation wäre, auf Seiten der Beschäftigten überhaupt erst ein Funktionsbewusstsein zu fördern, ein Wissen um die eigene gesellschaftliche Bedeutung.“ ( Dr. Philipp Staab: „Einfache Dienstleistungen“ in der Wertschöpfungskette“) Das ist der eine Weg. Der andere führt in die Experimentierräume der Postwachstumswirtschaft. Dazu gehören neue Methoden des Lernens: Praxis-Lernen – durch Selbermachen, Ausprobieren, um wieder ein Gefühl für das eigene Wirken, das eigene Können zu entwickeln. In den offenen Werkstätten, den Fablabs, kann unter Zuhilfenahme offener Quellen und mit Unterstützung der dortigen Maker gebaut, geschraubt, repariert und das Hantieren mit 3D-Druckern auf niedrigschwelligen Niveau erprobt werden. Hier gibt es die Möglichkeit, wieder ein Gefühl für das eigene Ich, das eigene Können, den eigenen Wert zu entwickeln.

Womöglich entwickeln sich darüber neue Wege des miteinander Arbeitens, Wirtschaftens und Lebens – alle Bildungsniveaus einschließend – jenseits von Wachstum, Wettbewerb und Niedriglohn.

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