Strategien einer Postwachstumsgesellschaft

Konzepte und Visionen einer Postwachstumsgesellschaft auf dem Degrowth-Kongress 2014 in Leipzig

Zusammenfassung der Vorträge des „Konzeptwerks Neue Ökonomie e.V. Leipzig“ und des Netzwerks „Plurale Ökonomik e.V.

Uni Leipzig Degrowth 2014Die Degrowth-Konferenz am 03.09.2104 an der Leipziger Uni ist gut besucht. 2.500 Menschen – überwiegend jung und studentisch -, aber auch eine stattliche Anzahl von „Oldies“ jenseits der 40 – haben sich eine Woche lang versammelt, um Alternativen zur scheinbaren Alternativlosigkeit der globalisierten Wachstumsanhänger aufzuzeigen. Es geht um Theorie: Wie können schon an Schule und Uni anhand eines veränderten Bildungskonzeptes Alternativen zum herrschenden Wirtschaftssystem erarbeitet und gelehrt werden? Aber es geht auch um Praxis, um die vielen kleinen Beispiele, in denen Menschen angefangen haben, die Welt im Sinne einer Postwachstumsära umzugestalten. Das „Konzeptwerk Neue Ökonomie e.V. Leipzig“ ist eines von vielen Institutionen, die sich mit der Analyse der Krise und mit gesamtgesellschaftlichen Lösungsansätzen beschäftigt haben. Das „Netzwerk Plurale Ökonomik“ steht für die Idee einer pluralistischen Wirtschaftslehre, die zukünftig an den Unis gelehrt werden sollte. Beides soll hier kurz skizziert werden.

Kritik am Wachstumsgedanken aus Sicht der Ökonomie

Zunächst geht es um eine kritische Betrachtung des Bruttoinlandprodukts (BIP), das den Wachstumsbefürwortern als Messlatte für Erfolg und Wohlstand einer Gesellschaft dient. Das BIP misst alle Güter, die innerhalb eines Jahres hergestellt wurden und dem Endverbraucher dienen. Das Wirtschaftswachstum bedeutet demnach die Steigerung dieses Wertes. Allerdings wird dieser Wert – als Maßstab für Glück, Zufriedenheit, Zusammenhalt und Stabilität einer Gesellschaft zunehmend in Frage gestellt. Die Glücksforschung hat festgestellt, dass die Zufriedenheit eines Menschen bei einem bestimmten Einkommen nicht mehr proportional zur Erhöhung dieses Einkommens wächst. Zum Lebensglück gehört also mehr, als die Steigerung von materiellem Erfolg und Wohlstand.

Theresa Steffestun und Jonathan Barth vom „Netzwerk Plurale Ökonomik e.V.“ erläutern, woran es beim Studium der Volkswirtschaft hapert und warum die derzeitige Wirtschaftslehre kein Ort für Veränderung – trotz anhaltender Wachstumskrise – sein kann. Inhalt des Studiums der VWL ist ein mathematisch-physikalisches Dogma, das als Ausgangspunkt der „reinen“ Lehre dient und keinen Raum für Kritik und alternative Sichtweisen lässt. So gäbe es in der Volkswirtschaft kein Seminar, das sich mit der Geschichte des wirtschaftlichen Denkens beschäftigt und damit auch keinen Raum der Diskussion eröffnet. Der ökonomische Ort ist der von Preis und Menge. Dabei gehört die Volkswirtschaft als Disziplin zu den Sozial- und Geisteswissenschaften. Während in diesen jedoch verschiedene Lehren und Theorien vergleichen werden, bezieht sich die Volkswirtschaft auf eine einmal festgelegte Theorie, die nicht in Frage gestellt wird. Die Hauptforderung des Netzwerks besteht zufolge auch darin, Pluralität der Wirtschaftstheorien an die Uni zu bringen. Es sei an der Zeit, die derzeitige Definition von Wirtschaft von ihrer Entstehungsgeschichte herzuleiten und den Raum für ein verändertes wirtschaftliches Denken und für alternative Wirtschaftsmodelle zu öffnen.,

Jona Blobel und Johannes Schneeweiss vom „Konzeptwerk Neue Ökonomie e.V Leipzig“ erklären, worauf sich das Wirtschaftswachstum überhaupt bezieht. Es geht zum einen vom Konkurrenzgedanken aus, dem Grundprinzip für Wachstumsdrang. Zum anderen besteht es in der Suche des Kapitals nach Verwertung und Profit. Zwei Richtungen, die keiner Naturgewalt unterliegen, sondern von Menschen gemacht sind. Menschen entwickeln Denkstrukturen, die ebenfalls keiner genetischen oder biologischen Prägung unterliegen, sondern sich kulturell entwickelt haben. Hatten sie in einer bestimmten Epoche einen Sinn, heißt das nicht, dass dieser Sinn konstant und unveränderbar ist. Die kulturellen Wachstumstreiber werden schon lange nicht mehr von den elementaren Bedürfnissen nach Nahrung, Wohnung, Sicherheit, Gesundheit, Bildung und Vitalität bestimmt. Wir definieren uns heute über den sozialen Status und über kulturelle Vorlieben. Das schafft ein Gefühl von Zugehörigkeit und Identität. Die Befriedigung der Grundbedürfnisse wurde abgelöst von unserem Bedürfnis nach ständig Neuem, nach steigenden Einkommen, nach Besitz und immer exotischeren Hobbies und Urlaubsreisen. Seit der industriellen Revolution ist das Bedürfnis nach „unendlichen Wachstum“ in unser Gefühl und in unserer Vorstellung von der Welt eingebettet und äußert sich in unseren Karrierewünschen und Aufstiegsplänen. Durch unser Bildungs- und Erziehungssystem repliziert sich dieses Dogma permanent, indem junge Menschen – alternativlos – in die wirtschaftliche Mainstreamrichtung „gebildet“ werden.

Degrowth 2014Wachstum steht für die vermeintliche Voraussetzung für Stabilität. Im Jahre 2009 erklärt Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung: Ohne Wachstum keine Investitionen, ohne Wachstum keine Arbeitsplätze, ohne Wachstum keine Gelder für die Bildung, ohne Wachstum keine Hilfe für die Schwachen. Und umgekehrt: Mit Wachstum Investitionen, Arbeitsplätze, Gelder für die Bildung, Hilfe für die Schwachen und – am wichtigsten – Vertrauen bei den Menschen.“ Diese Definition ist in dem Sinne richtig, als dass unsere sozialen Sicherungssysteme wachstumsabhängig umgebaut worden sind, so dass sie – unter Beibehaltung der alten Struktur – unweigerlich vom Wachstum abhängig sind. Unter dieser Prämisse kann man sich auch nur durch Wachstum den Umweltschutz leisten. Was bei diesem Denkgebäude jedoch immer wieder systematisch außer Acht gelassen wird, ist die unumstößliche Tatsache, dass unsere Ressourcen endlich sind – neben dem Peak-of-Oil gibt es längst schon den Peak-of-Everything und dass unserem Planeten Grenzen gesetzt sind. Physikalisch betrachtet ist die Erde ein nahezu geschlossenes System.

In der aktuellen Debatte um Lösungsansätze lassen sich zwei Strategien erkennen.

1. Entkoppelung

Die Strategie der Entkoppelung wird vor allem von den Grünen vertreten. Wir wachsen weiter, verbrauchen aber weniger Ressourcen. Das firmiert dann unter den Bezeichnungen „Grünes Wachstum“ und „Green New Deal“. Erreicht werden soll das auf der einen Seite durch Effizienz, d.h. durch Dematrialisierung der Produktion. Es wird auf weniger Verbrauch und damit schonenden Umgang mit den Ressourcen gesetzt: Weniger Sprit beim 3-Liter-Auto, weniger Energieverschwendung durch den Bau von Passivhäusern, umweltschonender Umgang durch energiesparende Kühlschränke. Auf der anderen Seite spielt die Konsistenz hier eine wichtige Rolle – die Ökologisierung der Produktion. Es sollen nur noch biologisch abbaubare Substanzen verwendet werden und die Rohstoffe verbleiben im Kreislauf – Cradle-to-Cradle-Wirtschaft. Durch die Installation eines „Repair-Systems“ fällt dann quasi kein nicht abbaubarer Müll mehr an. Die Idee dahinter: Das Bruttoinlandprodukt kann und soll weiter ansteigen, während der Ressourcenverbrauch sinkt.

Hier spricht man auch von einer relativen Entkoppelung. In dieser liegt aber auch die Crux. Denn wenn die Wirtschaft weiter wächst, dann löst sich die relative Entkoppelung schnell wieder auf, da der Ressourcenverbrauch proportional zum Wachstum auch wieder ansteigt. Eine absolute Entkoppelung kann so nicht entstehen. In Deutschland könne der CO2-Haushalt zwar bis zum Jahre 2050 gesenkt werden, aber nur weil ein Großteil der Produktion in die Länder des Südens ausgelagert wird. Dieser Verbrauch schlägt in Deutschland nicht zu Buche. Das bedeutet, es kommt zu einem Rebound-Effekt. Die Folge der effizienten Wirtschaftsweise führt dazu, dass noch mehr Produkte konsumiert werden, weil sie billiger werden. Wenn Autos weniger Sprit verbrauchen, kann man sich einen Zweit- oder Drittwagen leisten. Eingespartes Geld kann schnell dazu verwendet werden, noch öfter in den Urlaub zu fliegen oder noch mehr Hightech-Geräte zu konsumieren. Die Entkoppelung kann das Problem der sinkenden Ressourcen und der Umweltschädigung also nicht lösen.

2. Suffizienz

Der Suffizienz-Gedanke geht von der Reduktion aus. In ihm ist die Idee vom Null-Wachstum enthalten. Es geht darum weniger zu konsumieren und dafür mehr Zeitwohlstand zu haben. Die Befreiung vom Konsum wird hier als Gewinn betrachtet, nämlich den Gewinn von frei verfügbarer Zeit, die mit mehr Zufriedenheit durch mehr soziale Interaktion einher geht. Einer der radikalsten Vertreter dieser Richtung ist Niko Paech, seit 2010 Gastprofessor am Lehrstuhl für Produktion und Umwelt („PUM“) an der Universität Oldenburg. Aus der Glücksforschung ist bekannt, dass Wachstum und Lebenszufriedenheit zumindest in den wohlhabenden Ländern des Westens wenig Gemeinsames haben – die Lebenszufriedenheit wächst nicht proportional zum Einkommen. Wachstum führt auch nicht zu einer gerechteren Verteilung der produzierten Güter und von Reichtum. Im Gegenteil. Während das BIP wächst, nimmt die Lebenszufriedenheit ab.

Degrowth 2014Dass dennoch nicht von der gebetmühlenartigen Predigt nach mehr Wirtschaftswachstum als alternativlosen Garant für Glück, Zufriedenheit und Stabilität der Gesellschaft abgelassen wird, muss also andere Gründe haben. Einer dieser Gründe liegt darin, dass die Politik vor allem daran Interesse hat, die Machtverhältnisse aufrechtzuerhalten. Sie fungiert – spätestens mit Aufkommen des Neoliberalismus – überwiegend als Interessensvertretung der Wirtschaft. Wenn Autoindustrie, Energiekonzerne und die Erdöl-Lobby zum Apell rufen, seht die Politik stramm. Mit der Drohgebärde Arbeitsplätze abzubauen, wenn die politischen Entscheidungsträger den Forderungen der Lobbyisten nicht nachkommen, kann so ziemlich alles durchgesetzt werden, was von industrieller Seite kommt. Politik und Wirtschaft sind mittlerweile so eng miteinander verflochten, dass sie ein System aufrechterhalten müssen, um sich gegenseitig die Macht zu sichern. So führen das Wachstum von privaten Gewinnen und die Zunahme der Staatsverschuldung zu einer wachsenden sozialen Ungleichheit. Das ständig anwachsende Vermögen in den Händen Weniger konzentriert gleichzeitig auch die Macht bei eben jenen. Die Kommerzialisierung von nicht markförmig organisierten Gesellschaftsbereichen wie Pflege, Erziehung und Bildung wird notwendig, um das Wachstumssystem und Machtgefüge aufrechtzuerhalten.

Die Vision einer Postwachstumsgesellschaft

Degrowth 2014Auch wenn es auf dem Degrowth-Kongress in Leipzig den Anschein erwecken könnte, die Postwachstumsbewegung sei eine reine Jugend- und Studentenbewegung, täuscht dieser Eindruck. Die Postwachstumsbewegung ist längt in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Ihr wohl prominentester konservativer Vertreter: der CDU-Mann Meinhard Miegel, der sich vermutlich sogar schon ein paar Jahre länger mit dem Thema des Nullwachstums beschäftigt als die es die Jugend tut. Umso bedauerlicher, dass Meinhard Miegel und sein Institut „Denkwerk Zukunft“ auf der Degrowth nicht vertreten war. Die Postwachstumsbewegung erfasst von konservativen bis zu radikaleren Ansätzen das ganze Spektrum der Gesellschaft. Allen gemeinsam dürften folgende Gedanken und Lösungsansätze sein:

  •  Das Wirtschaftswachstum ist nicht mehr der Normalzustand, sondern es wird eine Gesellschaft angestrebt, die weitgehend auf wirtschaftliches Wachstum verzichten
  • Kooperatives Verhalten löst Konkurrenzverhalten ab
  • Die Werte Demokratie, geringere Ungleichheit, Nachhaltigkeit und hohe Lebensqualität sind erstrebenswerter als materieller Wohlstand
  • Weniger Konsum, dafür Gewinnung von Zeit als Lebensqualität (Suffizienz)
  • Das BIP ist nicht mehr der Maßstab für das Wohl einer Volksgemeinschaft

Wichtig zu erwähnen ist, dass es sich um eine Bewegung des globalisierten, reichen Nordens handelt. Inwieweit der Süden erst einmal durch Wachstum kapitalistische Standards herstellt, ist die Entscheidung des Südens selbst, ohne dass der Norden hier das Recht hätte Vorschriften zu machen.

Wie können konkrete Schritte in eine Postwachstumsgesellschaft aussehen?

1. Top down – Handlungsfelder der Politik

  • Die Einführung einer sozial-ökologischen Steuerreform würde Ressourcen und Reichtum anstatt Arbeit besteuern
  • Staatliche Investitionen und Subventionen könnten umgelenkt werden, d.h. alle Wirtschaftszweige, die auf fossile Energien setzen, würden künftig keine Subventionen mehr erhalten. Anstelle dessen würden innovative Wirtschaftszweige, wie Kreislaufwirtschaft, erneuerbare Energien und Repair gefördert werden.
  • Regulierung der Finanzmärkte zum Beispiel durch Einführung einer Tobinsteuer
  • Der Emissionshandel würde florieren: Verbraucht eine Firma zu viel Energie, muss sie dafür sorgen, dass eine andere Firma Ausgleich schafft (dies ist ein strittiger Punkt in der Bewegung, da Umweltsünder sich permanent „frei kaufen“ könnten)
  • Sozial-ökologische und demokratische Unternehmen, die zum Beispiel eine Gemeinwohlbilanz erstellen, würden steuerliche Vorteile genießen
  • Eine gerechtere Verteilung von Arbeit, zum Beispiel durch Arbeitszeitverkürzung berechnet auf die Lebenszeit, würde dafür sorgen, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung Arbeit und Zeit hat.
  • Ein bedingungsloses Grundeinkommen schafft die Basis für Zeitsouveränität, Potenzialentfaltung und sinnvolle Arbeit.

Degrowth 2014Ein weiterer wesentlicher Punkt ist die Einführung einer Suffizienzpolitik. Sie hätte u.a. die Aufgabe dafür zu sorgen, dass Maßnahmen gegen den Produktverschleiß getroffen werden (heute wird bereits innerhalb der Produktion der Verschleiß miteingebaut, damit schneller neue Produkte gekauft werden müssen). Die Suffizienzpolitik würde dafür sorgen, dass Werbung im öffentlichen Raum begrenzt wird. Dass die Politik hier durchaus Spielraum hat, zeigt die Zigarettenwerbung, die nach Ernstnehmen der hohen Sterblichkeit durch das Inhalieren von Tabak im öffentlichen Raum verboten worden ist. Weitere Maßnahmen wären die Einführung eines Tempolimits, die Veränderung der steuerlichen Abschreiberegeln (z.B. bei Nutzung eines Dienstwagens), die Einführung einer guten Verkehrsinfrastruktur sowie die Einführung einer Mautgebühr für Autos in der Innenstadt. Ein weiterer wesentlicher Punkt: Die Reform des Bildungswesens. Die Schule würde von Anfang an die Talente und Vorlieben der Kinder berücksichtigen und diese stärken und fordern, anstatt der Vermittlung eines Einheitslehrstoffes, bei dem immer mehr Kinder auf der Strecke bleiben.

2. Bottom up – Handlungsfelder der Unternehmen

 Auch wenn derzeit nicht zu erwarten ist, dass die Unternehmen sich im großen Stil der Postwachstumsbewegung anschließen werden und auf Wachstum, Gewinne, Konkurrenz und Börsengänge verzichten, sollen hier Handlungsfelder aufgezeigt werden. Allerdings sollte man auch nicht den Einfluss der Zivilgesellschaft unterschätzen. Sie ist es, die wichtige Impulse geben kann, u.a. durch Konsumverweigerung. Seit Jahren kreisen verschiedene Ideen eines anderen Wirtschaftens in der Zivilgesellschaft. Die Gemeinsamkeit aller innovativen Wirtschaftssysteme liegt in einer starken Begrenzung des Wirtschaftwachstums bis gegen Null. Anstelle dessen treten die sozialen, kreativen und kommunikativen Bedürfnissen des Menschen.

Beispiele innovativer am Menschen ausgerichtete Wirtschaftssysteme:

  •  Solidarische Ökonomien
  • Gemeinwohlökonomie
  • Non-Profit-Ökonomie
  • Commons
  • Ethische Banken
  • Cradle-to-Cradle-Unternehmen
  • Re-Regionalisierung (Fokussierung auf regionale Unternehmen)

3. Bottom up – Handlungsfelder der Zivilgesellschaft

Die Zivilgesellschaft hat einen großen Einfluss auf Politik und Wirtschaft. Deshalb ist es wichtig, dass die Bürger sich ihres Einflusses und ihrer Macht bewusst werden, Zivilcourage zeigen, in den eigenen Handlungsfeldern beginnen und sich mit anderen Akteuren der Postwachstumsbewegung vernetzen.

Zivilgesellschafter engagieren sich weltweit:

  • in Transitions-Towns und Urban Gardening – Projekten
  • anstatt zu konsumieren teilen, tauschen und schenken sie
  • sie installieren Repair-Cafes, in denen kaputte Produkte repariert werden
  • sie schließen sich in Biogemeinschaften und Food-Kooperationen zusammen und kaufen ausschließlich lokale Produkte
  • sie schließen sich in Genossenschaften und Wohnprojekten zusammen
  • sie entwickeln neue Arbeits-, Lebens- und Sinnzusammenhänge
  • sie bieten ihre Arbeitskraft nur noch in ethisch-vertretbaren Firmen an
  • sie engagieren sich politisch und sozial und vernetzen sich

Was braucht es, um einen kulturellen Wandel in Gang zu setzen?

Jared Diamond beschreibt in seinem Buch „Kollaps“ aus welchen Gründen alte Kulturen und Gesellschaftssystem untergegangen sind. Es handelte sich immer wieder um die gleichen fünf Problemfelder:

  1. gesellschaftlich verursachte Umweltschäden,
  2. Klimaveränderungen,
  3. feindliche Nachbarn,
  4. abnehmende Unterstützung durch freundliche Nachbarn bzw. Handelspartner,
  5. die auch kulturell bedingten Reaktionen der betroffenen Gesellschaft auf die zuvor beschriebene Ansammlung von Problemen als wichtigster Einzelfaktor

Degrowth 2014Unser heutiges, westliches Gesellschaftssystem steht vor den gleichen Problemen wie die Untergangskulturen. Wenn in diesen Gesellschaftssystemen ein neues Problem aufgetaucht war, das einer dringenden Lösung bedurfte, haben die Kulturen immer wieder mehr vom Alten, Gängigen gemacht, anstatt nach neuen Lösungen zu suchen. Um dagegen zu steuern benennt das „Konzeptwerk Neue Ökonomie Leipzig“ drei wesentliche Strategien:

    1. Den Tunnelblick weiten und nach neuen Lösungsansätzen suchen, die nicht aus dem Problemkontext heraus entstehen. Probleme können nicht aus dem Problemkontext heraus gelöst werden, sondern nur dadurch, den eingeengten Blick auf das Ganze zu weiten und nach neuen Lösungsstrukturen zu fahnden, deren Ursprung nicht im Problem selbst liegt.
    2. Neue mentale Infrastrukturen aufbauen                                                                               Harald Welzer spricht in seinem Buch „Selbst denken“ von „tiefer Industrialisierung“ und „mentalen Infrastrukturen“, durch die unser Denken so durchdrungen ist, dass wir uns eine andere Welt als die unsere gar nicht mehr vorstellen können. Unsere Lebenswelt besteht aus Routinen und Gewohnheiten, der Erfahrung des „immer alles, jetzt und sofort – Verfügbaren und der Geschichten, die wir uns darüber erzählen. Es sind Geschichten über unsere Gefühle, Wünsche, gelernten Bedürfnisse – und diese sind nur schwer über die rationale Einsicht zu verändern. Deshalb ist es wichtig, dass wir neue Geschichten von einem gelingenden Leben erzählen, das jenseits von Wachstum und Konsumorientierung liegt.
    3. Freunde und Verbündete finden                                                                                                   Die Kraft einer Veränderung liegt auch an der Anzahl von Menschen, die genügend Unzufriedenheit in der bestehenden Weltordnung empfinden, um aktiv etwas dagegen zu unternehmen und ein anderes Leben jenseits des Wachstumsgedanken, des „immer höher, schneller, besser – jetzt und sofort“ vorzuleben. Dafür haben die Autoren Harald Welzer, Ute Scheub und Annette Jensen in ihren Büchern unzählige Geschichten gesammelt, in denen Menschen, Institutionen, Firmen aufgebrochen sind und ein gutes Leben jenseits des BIP führen. Freunde und Verbündete finden bedeutet Vernetzung. Es bedeutet Wege zu finden, in denen die Vielen, die es bereits anders machen, sich vernetzen und Bündnisse schließen. Aus der Physik stammt der Begriff des kritischen Punktes, der dann erreicht ist, wenn ein Stoff sich mit einem anderen mischt und der neue Stoff so intensiv geworden ist, dass der alte Zustand kippt und in ein neues Aggregat übergeht. So geschieht es auch in Gesellschafsystemen. Wenn eine neue Kraft, die sich im Alten entwickelt, eine gewisse Größenordnung und Kraft entwickelt hat, kann es passieren, dass die alte Ordnung kippt und das Neue sich als neuer Mainstream durchsetzt. Kultur-evolutionäre Wege haben den Vorteil, dass sie eine Kultur tief durchdringen (mentale Infrastrukturen) und haltbarer sind als eine Revolution, die die Menschen mental nicht in das Neue mitnimmt.

 

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