Schöne neue Social Business – Welt

Ein Bericht von der Vision Summit 2014 oder Wie der Kapitalismus die soziale Bewegung vereinnahmt

Eigentlich ist es ja keine schlechte Idee, dass Unternehmen anfangen soziale Verantwortung zu Allianzforumübernehmen. Das möchte die „Gemeinwohlökonomie“ von Christian Felber ebenso erreichen wie die Akteure der „Akademie für Solidarische Ökonomie“; das fordert die Zivilgesellschaft und die Postwachstumsbewegung sowieso. Was Peter Spiegel mit seinem Genesis-Institut und der Vision Summit initiiert, die letzte Woche zum achten Mal ihre Pforten für Innovatoren, Sozialbewegte und Gründer öffnete, ist jedoch eine eher fragwürdige Angelegenheit. Neben einigen der derzeit prominentesten Vordenkern eines Paradigmenwechsels wie Jeremy Rifkin, Gerald Hüther, Harald Welzer – sind Vertreter aus Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft erschienen. Ort des Geschehens: Das Allianz Forum direkt am Brandenburger Tor. Das Publikum unterscheidet sich erheblich von den Teilnehmenden der Degrowth-Konferenz, die vor zwei Wochen an der Uni Leipzig tagte. Waren die einen bunt, idealistisch, kritisch und auf der Suche nach neuen Formen des Arbeitens, Wirtschaftens und Lebens jenseits der kapitalistischen Verwertungslogik, outen sich die anderen schon durch Kleidung und Habitus als zivilgesellschaftlich-interessierte Bürger, Unternehmensvorstände und junge Entrepreneurs, die eine Karriere mit sozialer Ausrichtung anstreben. Bereits durch den Eintrittspreis findet Selektion statt. Unternehmen zahlen EUR 380, Privatpersonen EUR 280 und Gründer immerhin EUR 120 – die muss man für anderthalb Tage erst einmal haben und ausgeben wollen. Im Rampenlicht der Kritik stehen die alten Wirtschaftsmodelle: Auf der einen Seite die rohstoff- und menschenausbeutende Profitarbeit mit dickem Gehalt. Auf der anderen Seite der soziale und Non-Profit-Sektor mit zwar sinnstiftender und gesellschaftlich wertvoller Tätigkeit, in der Regel aber schlecht bezahlt und ohne große Karrierechancen. Social Business – heißt das Zauberwort, das die Lösung bringen soll. WeQ – More than IQ – das neue WIR-Gefühl – eine Erfindung von Genesis-Gründer Peter Spiegel soll den Weg weisen. Berater, Unterstützer und Hauptinvestor der neuen Bewegung ist die amerikanische Firma Ashoka gGmbH und ihr europäischer Vertreter Felix Oldenburg erscheint dann auch mehrfach auf dem Podium, um den überwiegend jungen Talenten vom Glück des Sozialunternehmertums zu berichten. Die Exzellentesten unter den Idealisten mit den breitenwirksamsten Ideen, Unternehmergeist und Sendungsbewusstsein sollen aufgespürt werden. Durch einen Mix aus Stiftungsgeldern, Risikokapital und Spenden vermögender Menschen sollen sie in ihrer Gründungsphase finanziert und auch noch lange darüber hinaus unterstützt werden, so dass sie sich ganz der Umsetzung ihrer idealistischen Ideen widmen können, ohne den permanenten Existenzsicherungsdruck zu spüren. Eine tolle Idee, denke ich, denn ich gehöre ja auch zu denen, die ihre Projekte immer wieder durch Jobarbeit unterbrechen muss, wenn ich keine staatliche Unterstützung in Anspruch nehmen will. Soziales Engagement und Geld verdienen. Echt, eine coole Sache. Das ist genau das, was sich in den 70ziger Jahren auch die Alternativbewegung gewünscht hätte. Meistens blieb es dann bei dem Entscheidungsdilemma, entweder auszusteigen und in selbstverwalteten Projekten ein ziemlich prekäres Leben zu führen oder sich eben in Jobarbeit, Berufungsarbeit und sozialem/politischen Engagement zu zersplittern.

Doch irgendwie regt sich mein Bauchgefühl. Und das resultiert nicht nur aus dem typischen Unternehmer-Sprech, mit dem Ashoka-Direktor Felix Oldenburg daherkommt. Zunächst geht es um Zahlen. Mit Hilfe einer PowerPointPräsentation erläutert er, wie durch die neuen Sozialunternehmen Milliardenumsätze generiert werden können. Als Beispiele nennt er das Carsharing-Projekt, regenerative Stromanbieter wie EWS, die indische Augenklinik Aravind und Coachsurfing. Dass Einige davon heute in der Kritik stehen, gerade weil sie sich vom idealistischen Sozialunternehmen zum kommerziellen Betrieb entwickelt , die ehemaligen Nutznießer sich vom kulturverbindenden Couchsurfer zum Billigangebot- und-Sex-Coucher wandelten und die ehemaligen Gründer sich beschämt von ihrem eigenen Projekt abwandten, wird dabei nicht erwähnt. Laut Oldenburg schafft das Sozialunternehmertum Märkte des explosiven Wachstums und das ist für den ehemaligen McKinsey-Mitarbeiter dann auch eines der Hauptanliegen. Es geht viel um S-Kurven, die heute schneller ansteigen würden als früher und um Hybride-Systeme , die eine wichtige Rollen spielten. Social Entrepreneurs seien die Vorreiter für eine Wirtschaft, die wir alle gemeinsam schaffen, damit alle eine maximale Eigenverantwortung leben könnten, so Albert Schmitt, Managing Director der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen. Die Kammerphilharmonie ist ein Zusammenschluss von Kunst-Unternehmern, die sich als GbR in den 80ziger Jahren gegründet haben. Neben ihrer künstlerischen Arbeit entwickelt sie Unternehmensberatungskonzepte wie „Das Fünf-Sekunden-Modell für maximale Hochleistung im Managertraining“ und tut natürlich auch Gutes. Durch ihre Ansiedelung in einem Bremer Problembezirk will sie den Sozialbenachteiligten Mut machen und Unterstützung für Veränderung geben. Ziel der künstlerischen und beratenden Arbeit ist es, Hochleistungsteams zu entwickeln, die maximalen Erfolg bringen, der natürlich auch wirtschaftlich messbar ist. Es ist überhaupt auffallend, wie oft hier die Worte „maximaler Erfolg“, „maximale Leistung“, „maximale Eigenverantwortung“, „maximales Risiko“ und „maximale Freiheit“ fallen.

PodiumErfrischend offen bei so viel Sozial-Profitmaximierungs-Optimismus und das Dilemma auf den Punkt bringend ist der junge Van Bo Le-Mentzel, bekannt durch seine Hartz-IV-Möbel . Mittlerweile hat er sechs Crowdfounding-Projekte erfolgreich abgeschlossen und ist bereits dabei ein neues zu starten. Ziel des neuen Projekts: Eine einjährige Finanzierung seiner Lebenshaltungskosten, um ihm zu ermöglichen, weitere sozial-innovative Ideen zu entwickeln und erfolgreich umsetzen zu können. Ein Probelauf für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Das ehemalige Flüchtlingskind aus Laos, das mit seinen Eltern 1979 nach Berlin kam, ist im Wedding aufgewachsen, studierte Architektur und war selbst eine Weile ALG II – Empfänger. Anders als seinen Vorrednern geht es ihm tatsächlich um Schenken, um Geben, um Machen und weniger um Nehmen, Profitieren und einen Statusvorteil. Unter dem Motto „Konstruieren statt Konsumieren“ inspiriert Van Bo Le-Mentzel Menschen mit wenig Geld ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen und mit Anderen zusammen zu gestalten. Kostenlos verschickt er seine Baupläne für Möbel und bittet im Gegenzug lediglich darum, ihm anschließend über den Verlauf des Projektes zu berichten. Das Lieblingswort der Moderatorin Andrea Thilo aufgreifend, findet er es dann auch ganz toll, dass auf dem Podium soviele tolle Menschen sitzen würden und eine Frau. Wo sie denn wären, die tollen weiblichen Entrepreneurs? Und was wäre denn eigentlich mit den einfachen Leuten, die tagtäglich auch ganz tolle Sachen machen würden. Zum Beispiel seine Frau, die hätte grad ein tolles Kind geboren. Warum wurde sie eigentlich nicht eingeladen? Felix Oldenburg schreitet ein: Er will nicht, dass hier auseinanderdividiert werde: Hier die, die was für die Vielen machen und da die, die etwas für den Einzelnen tun. Hier sollen nicht zwei Modelle gegeneinander ausgespielt werden, die doch zusammengehören. Denn genau das ist ja der neue WeQ-Modus: Alle ziehen am gleichen Strang, die Welt werde nicht mehr in die Einen und die Anderen aufgeteilt. Allerdings wäre halt das, was die Hochleistungsunternehmer-Talente für die ganz, ganz Vielen machen, eben doch ein bisschen wichtiger als das, was die einfachen Leute machen würden, obwohl auch das ganz, ganz wichtig wäre. Van Bo gibt sich damit nicht zufrieden. Lächelnd bohrt er weiter: Warum sei denn das, was für Viele gemacht werde mehr Wert als das, was der Einzelne tut? Was sei zum Beispiel mit der Pflege? Das wäre doch eine Menge wert, wenn sich einer um einen kümmert und einen anderen Menschen pflegt. Das Podium wird unruhig – möchte sich mit diesem Thema nicht wirklich auseinandersetzen. Um abzulenken, fordert Oldenburg Van Bo auf: „Erzähl doch mal, was Du alles Tolles für die Vielen machst.“ Van Bo erzählt und es wird deutlich, dass er für ein ganz anderes Lebens- und Arbeitskonzept steht als die versammelte Hochleistungs-Sozial-Elite: Er spricht vom Grundeinkommen, vom Schenken, vom Geben und vom Teilen, das bei ihm eine andere Bedeutung hat als das „Caring“ der Changemaker, die das Gute von oben über die Welt ausgießen möchten. Ein anderes Verständnis von Welt, über das sich Unternehmer nicht so gern unterhalten, würde es doch ihre Maximierungsfantasien – seien sie nun materialistischer oder weltverbessernder Natur – erheblich in Frage stellen.

Natürlich kommt so eine Veranstaltung auch nicht ohne Preisverleihung aus. Die Vision Awards 2014 erhalten die Social Entrepreneurs Thorkil Sonne und Ana Bella Estévez für erfolgreiche Co-Creation-Projekte mit SAP und Danone. „Thorkil Sonne ist Gründer des IT-Beratungsunternehmens „Specialisterne“ , das bewusst Autisten beschäftigt, um deren bemerkenswerte Begabungen als Wettbewerbsvorteil auf dem Arbeitsmarkt zu nutzen. In einer globalen Partnerschaft unterstützt „Specialisterne“ SAP dabei, Menschen mit Autismus als Softwaretester und Datenbankentwickler einzustellen.
Ana Bella Estévez hat es sich zu ihrer Lebensaufgabe gemacht, häusliche Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen und Betroffenen beizustehen. Sie selbst hat eine langjährige Leidensgeschichte hinter sich, wurde elf Jahre lang von ihrem Mann misshandelt und floh schließlich. „Wir sind nicht schwach, wer so viel Leid ertrug wie wir, der ist stark, sehr stark sogar. Wir sind keine Opfer, wir sind Überlebende.“, sagt Ana Bella. Im Jahr 2006 gründete sie eine Stiftung, die Fundación Ana Bella, die jedes Jahr 1.200 Opfer häuslicher Gewalt betreut und daneben eine eigene Firma, die gepeinigten Frauen Arbeitsplätze und somit eine neue Perspektive vermittelt. Sie arbeitet bei ihrem Projekt erfolgreich mit dem Unternehmen Danone zusammen.

Quelle: http://www.visionsummit.org/en/events/10-11092014/vision-summit-2014/vision-award-2014.html

Und da ist er wieder, der Gedanke: Toll, tolle Sache, dass sich Unternehmen um die Benachteiligten dieser Gesellschaft so rührend durch finanzielle und beratende Unterstützung kümmern. Warum bleibt der fahle Beigeschmack? Bin ich eine von gestern, weil ich dem WeQ-Wir-Gefühl und der Konsensstimmung in diesen heiligen Allianz-Hallen misstraue? Unterm Strich geht es bei all dem Sozialgetue doch nur um eines, sagt mein kritisch geschultes Gehirn: Die Wettbewerbsvorteile sichern, um dem Konkurrenzdruck auf dem Weltmarkt standzuhalten. Neue Wachstumsmärkte zu erschließen, da in den alten nicht mehr viel zu holen ist. Den Forderungen der Zivilbevölkerung nach mehr sozialem Engagement nachzukommen, um den Widerstand schon im Keim zu ersticken.

Die zehn Social-Entrepreneurs, die ihre Projekte vorstellen, untermauern diese Annahme. EsPublikum Vision Summit sind sinnvolle Projekte darunter, wie „Querstadtein Berlin“ , in dem ehemalige Obdachlose Stadtführungen übernehmen und von ihrem Leben berichten. Eine Annäherung zwischen denen, die haben und denen, die nichts haben. Ein Brückenschlag, der Augen und Herzen öffnen soll. Oder das Projekt „Hundebande„, in dem Straftäter über ein Ausbildungsprogramm für Blindenhunde Verantwortung lernen und in die Gesellschaft zurückgeführt werden sollen. Aber was ist mit Projekten wie „Good Conture„, in dem Handtaschen vermarktet werden, von deren Gewinn ein Teil in die Ausbildung von Kindern in die Dritte Welt fließt? „Konsumieren Sie Weihnachten und tun Sie Gutes!“ Oder „Ecotastic„, ein Projekt, das eine Smartphone-App anbietet, mit der man das eigene umweltgerechte Handeln dokumentieren kann und schließlich mit Gutscheinen für nachhaltige Produkte belohnt wird? Oder die Domainanbieter „.hiv„, eine dotHIV-Domain für Nonprofit-Organisationen. „Für eine jährliche Registrierungsgebühr von ca. 150 EUR kann man eine .hiv Domain registrieren. … Für jeden Klick auf eine .hiv Website spendet dotHIV eine kleine Summe für HIV Projektarbeit. Das Geld für diese Spenden stammt von den Registrierungsgebühren und wartet in einem großen Topf nur darauf, von den Internetusern frei geklickt zu werden. Dabei garantieren wir, dass mindestens 70% unserer Einnahmen direkt in die HIV Arbeit fließen.“ Es sind allesamt „charity“ – Projekte, in denen die Experten, die Unternehmer und Leistungsträger „Nächstenliebe, Mitleid, Wohltätigkeit und Mildtätigkeit“ walten lassen, während sie Geld verdienen und sich den sozialen Status des guten Bürgers erschaffen. Sehr deutlich wird dieser Hintergrund bei Frau Dr. Christine Tewes-Gradl, die ihre Initiative „Inclusives Business“ im Rahmen von „Initiativen für gesellschaftlichen Wandel im WEQ-Modus“ vorstellt. Sie sieht eine doppelte Chance für Marktwachstum darin, Menschen mit Hilfe von Produkten und Dienstleistungen aus der Armut herauszuhelfen, die gleichzeitig den Unternehmen Gewinne bringen. Dies veranschaulicht sie durch zwei Fotos, zu denen sie folgende Frage stellt: Welche Chancen sehen Sie hier?“ Auf dem ersten Foto sieht man ein kleines Dorf irgendwo in Kenia oder anderswo – abgeschnitten von der Stromversorgung, Strohhütten, Sand, Sonne. Die Antwort: Dies ist ein riesiger Markt für neue Energieanbieter! Menschen könnten durch regenerative Energien ihre Häuser mit Strom versorgen und gleichzeitig ihre Handys aufladen – denn regenerativer Strom sei nicht teuer. Auf dem zweiten Foto erkennt man eine Bucht mit weißem Sandstrand, Meer, unberührte Natur. Die Chance, die Frau Tewes-Gradl sieht: Tourismus, was sonst? Hier könnten Hotels und eine Infrastruktur aufgebaut werden, die „den Touristen ein authentisches Urlaubserlebnis“ vermitteln und gleichzeitig für die armen Menschen Arbeitsplätze schafften. Menschen sollten als Partner, als Geschäftspartner betrachtet werden und nicht als Leute, denen man helfen müsse. Oh ja, schöne, schöne neue Businesswelt, in der wir uns bald alle als Unternehmer begegnen können und authentische Urlaubserlebnisse an mallorca-ähnlichen Stränden genießen dürfen. Wir liegen in der Sonne und die Einheimischen versorgen uns mit Nahrung und Getränken. Einen Vorgeschmack darauf bot übrigens schon die Vision Summit: Das Publikum ist weiß, bürgerlich, etabliert. Derjenige, der am Mittwochabend die leeren Gläser einsammelte: Ein Schwarzafrikaner. Zufall? Oder einfach Unachtsamkeit? Es tut gut wenigstens eine Stimme aus dem Publikum zu hören, die das ganze Konsensgedusel von den tollen neuen Gutes bringenden Hochleistungs-Entrepreneurs durchbricht und fragt, was dieses Gequatsche von Green- und Socialwashing hier eigentlich sein soll? Der Beifall ist allerdings mäßig. Man mag hier in dieser wunderbaren neuen Business-Welt, in der alles so toll ist, tolle Menschen, tolle Projekte, tolle Geldgeber, tolle Unternehmer – keine Störer, die den Traum von der großen Unternehmerweltgemeinschaft in Frage stellen, einer Welt, in der es keine Kunden und Unternehmer mehr gibt, sondern nur noch Menschen mit maximaler Eigenverantwortung.

Peter SpiegelDas WeQ-Konzept Peter Spiegels kurz umrissen, ist ein Optimierungskonzept – diesmal nicht mehr auf Ego-, sondern auf WIR-Basis. In seinem Essay WeQ – More than IQ  beschreibt er dieses neue Wir-Gefühl als die DNA, „eines weiteren Quantensprungs zur Entfaltung der menschlichen Fähigkeiten“, das sich auf wir-bezogene Qualitäten, insbesondere auf gemeinwohl-orientierte Ziele und auf team-orientierte Prozesse“ bezöge. „WeQ-Orientierung ist nicht nur ökologisch und sozial deutlich nachhaltiger, sondern auch intelligenter, kreativer, leistungsstärker, in einem umfassenden Wortsinne bereichernder und – wenn sie unternehmerisches Denken dafür öffnet – auch ökonomisch erfolgreicher.“ Mit den alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringenden WeQ-Revolutionen – Social Innovation, Design Thinking, Wikipedia, Co-Laboration, Potenzialentfaltung, Co-Creation, Social Business & Inclusive Business -, die allesamt auf WIR-Qualitäten basierten, ließe sich ein radikal neues Gesellschaftssystem etablieren und „unsere zivilgesellschaftlichen, unternehmerischen und politischen Rahmenbedingungen dementsprechend neu“ gestalten. Ein kurzer Ausschnitt aus seinem Essay soll verdeutlichen, wie Peter Spiegel sich das im Einzelnen vorstellt:

„Ein dritter Schlüsselbegriff in diesem Kontext ist Inclusive Business. Er geht zurück auf den weltweit bekanntesten Innovationsökonomen C.K. Prahalad, der die These vertrat, dass das schlichte Überleben von vor allem großen internationalen Unternehmen davon abhängt, wie innovativ und nachhaltig sie in der Lage sind, gesellschaftliche Herausforderungen unternehmerisch zu lösen. Das Konzept ist: Ökologische und soziale Ziele dürfen für Unternehmen nicht länger PR-Maßnahmen sein, sondern müssen die Quelle neuer funktionierender Geschäftsmodelle werden.Einige Beispiele: Cisco Systems entwickelte seine weltweite Ausdehnung in die neuen Märkte der Schwellen- und Entwicklungsländer als äußerst effiziente gesellschaftliche Lösung der drohenden digitalen Kluft zwischen armen und reichen Ländern:Sie etablierten mit der Cisco Network Academy die erste Online-Learning-Akademie für den weltweit kostenlosen Zugang zur Nutzung von IT-Technologie. Sie organisierten dadurch den schnellstmöglichsten, wirksamsten, günstigsten und nachhaltigsten Zugang von Nachwuchskräften in den globalen Armutsregionen zu den neuen IT-Möglichkeiten – und sie schufen sich damit gleichzeitig auch die künftigen Nachfrager auch nach ihren eigenen Technologien und Produkten. Ein Viertel der Allianz-Kunden sind heute bereits Klein-Versicherungsnehmer in den Armutsmärkten Asiens und Afrikas mit einem grundlegend anderen Micro Insurance Ansatz als in ihren traditionellen Märkten und mit ihren traditionellen Geschäftsmodellen.Sie versicherndort vor allem gegen Ernteausfälle, die Hauptursache für die immer wieder neue Zerstörung der Lebensgrundlagen von armen Bauern in der Welt. … . Inclusive Business ist jedoch keineswegs auf Dritte-Welt-Themen begrenzt, auch wenn dortdie größten Entwicklungsbedarfe wie auch Zukunftsmärkte liegen. Einige Experten meinen, dieWeltklimaproblematik sei durch konkrete Inclusive Business Ansätze weitaus schneller, kostengünstiger und nachhaltiger zu lösen als durch die heutigen Ansätze der Politik auf nationaler Ebene und erst recht auf der äußerst zähflüssigen Ebene internationaler Entscheidungsprozesse. Der Ansatz von Inclusive Business kann zu einer völlig neuartigen und tiefgreifenden weltweiten Innovationswelle führen. Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft sollten dafür die Wir-Qualitäten einer neuen Generation von Zusammenarbeit lernen, um ihre jeweils eigenen Zukunftsherausforderungen besser meistern zu können wie auch unsere längst unteilbar gewordenen gemeinsamen Herausforderungen. Auch hierfür bietet die WeQ-Philosophie die notwendige Haltung und die richtigen Handlungsmuster.“

Quelle: http://www.visionsummit.org/fileadmin/user_upload/documents/WeQ-Essay-Web.pdf

Wie heute üblich in Konsensrunden wurde natürlich auch auf der Vision Summit ein Störenfried Welzer und Hüthereingeladen: Harald Welzer hatte 35 Minuten Zeit im Dialog mit Gerald Hüther darüber zu philosophieren, warum es eine neue Innovationskultur bräuchte, warum WeQ – More than IQ – immer wichtiger werde und es zukünftig nur noch gemeinsam weitergehe. Welzer ging zunächst auf den Vortrag von Frau Gleike – Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und Energie – ein, die die neue Innovationsstrategie der Bundesrepublik vorgestellt hatte. Überwiegend ging es darin – wie zu erwarten – um Wettbewerb, den Standort Deutschland in der Welt und um Wachstum, Wachstum, Wachstum, aber natürlich – ganz im Sinne der Vision Summit – auch um bessere Rahmenbedingungen für Wagniskapital, um die Gründungskultur zu stärken und um der Bürgerbeteiligung mehr Raum und Mitbestimmung für eine partizipatorische Innovationsstrategie zu geben. Wir seien schon mal weiter gewesen, meinte Welzer, nämlich in den 70ziger Jahren, als die Hochschulen für Arbeiterkinder geöffnet wurden und Lehrinhalte und Zielsetzung eines Uni-Abschlusses nicht an Materielles, an Haben und Wettbewerb geknüpft waren. Danach kritisierte er den Ansatz von Jeremy Rifkin, der über sein neues Buch „Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft: Das Internet der Dinge, kollaboratives Gemeingut und der Rückzug des Kapitalismus“ gesprochen hatte. „Sharing is Caring“ – meinte dieser und genau das sei es eben nicht. Allerdings stellt sich mir die Frage, inwieweit Rifkins Botschaft von den Anwesenden, egal welcher Coleur, tatsächlich verstanden wurde. Während Gerald Hüther über die Rückbesinnung des Menschen auf seinen Ursprung als biologisches Wesen sprach und dass wir uns womöglich in der Annahme geirrt hätten, dass der Mensch als Einzelwesen und in Konkurrenz existieren könne, entgegnete Welzer, dass der Mensch von früh an auf Egoismus, Wettbewerb, Hochleistungsfähigkeit und Optimierung getrimmt würde. Hüther erwähnte die beiden Pole im Menschen – das „Autonomiestreben“ und das „Zugehörigkeitsgefühl“ – die beide ihr Recht forderten und philosophierte darüber, wie es möglich sein könne, dass Menschen wieder lernen in Gemeinschaften zu leben ohne ihre Autonomie aufzugeben. Welzer dagegen lenkte den Blick immer wieder auf das Politische, auf das Gesellschaftliche. Viele Menschen – gerade die junge Generation – hätten gute Ansätze, würden von Idealismus für eine bessere Welt geleitet, würden aber gar nicht merken, wie ihre guten Ansätze vermarktet und für Wettbewerbsstrategien missbraucht würden. Es sei auch eine falsche Vorstellung, dass wir als Menschen die große Transformation selbst schaffen könnten. Das sei eine vermessene Vorstellung, denn Gesellschaften entwickelten sich evolutionär. Außerdem würde er diese Transformation auch nicht wollen, denn es gäbe viele Dinge, die er durchaus für erhaltenswert hielte, zum Beispiel die Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Gesundheitsversorgung, soziale Versorgung. Es ginge um eine Kombination des Alten mit dem Neuen. Und diejenigen, die das Neue entwickeln und umsetzen würden, wären nicht Unternehmer, Politiker und Wissenschaftler, sondern diejenigen, die wirklich anders handeln, anders leben, anders wirtschaften würden, zum Beispiel in dem sie Möbel selbst bauten. Die Veränderung käme von unten, nicht von oben.

Wie die Worte beim Publikum ankamen, lässt sich nur vermuten. In der Reihe vor mir hörte ich einen kurzen Dialog. „Welzer, den kenne ich gar nicht.“ „Ich schon, aber heute gefällt er mir nicht.“ Kein Wunder – hat er doch einen Riss, eine Störung in die harmonische Businesswelt gesetzt. Welzer steht für Störung, für das Sandkorn im Getriebe der Welt. Es ist eine leise Störung, stellt leise in Frage. Man merkt es, nimmt es stirnrunzelnd zur Kenntnis, versteht es manchmal aber erst im Nachhinein. Auf der Degrowth-Konferenz in Leipzig führte Welzer einen Dialog mit Prof. Dr. Uwe Schneidewind, u.a. Präsident und wissenschaftlicher Geschäftsführer des Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie im Rahmen einer Podiumsdiskussion „Suffizienz versus Gegenkultur“. Schneidewind war sehr optimistisch, was die Kraft und die Durchsetzung der Postwachstumsbewegung betraf. Auch hier war Welzer der Störenfried, der in die aufgeladene, positive Stimmung der Postwachstumsbewegten – der Hörsaal war übervoll – in einem angrenzenden Raum wurde zusätzlich eine Videoübertragung installiert – den Zweifel säte. Da war er für mich der Störenfried und ich dachte – wie besagte Frau aus dem Vision-Summit-Publikum -:“Heute gefällt er mir nicht.“ Nachdem ich die Vision Summit erleben durfte und die Kraft, die Macht und das Geld, mit dem hier die sozialbewegten Idealisten mit dem Schleier des Konsens und des WeQ-Wir-Gefühls vernebelt und für den Kapitalismus vereinnahmt werden, bin ich dankbar für Welzers Zweifel, für Welzers Störungen. Auf die Frage der Moderatorin, wie die Suffizienz in die Welt kam, behauptete er, dass sie im Moment überhaupt nicht in die Welt käme. Es gäbe keine Unterbrechung kapitalistischer Wachstumswirtschaft, sondern es gäbe im Gegenteil eine Dynamik. Die Postwachstumsbewegung gäbe es seit 40 Jahren und sie hätte bis heute keine Auswirkung gehabt. Der expansive Kulturkapitalismus hätte zur Zeit eine ziemlich gute Party – er sei noch lange nicht am Ende. Der zivilisatorische Wachstumsschub – mit dem auch die Werte Demokratie, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Gesundheitsversorgung, soziale Versorgung – verbunden sind, seien eng mit dem Kapitalismus verknüpft. Derzeit wisse kein Mensch, wie eine moderne Gesellschaft aussehen könne, die reduktiv und nicht expansiv operieren würde. Expansive Gesellschaften seien durch Machtverhältnisse entstanden. Eine Gesellschaft wurde noch nie durch gute Argumente verändert. Es gäbe eine Konfliktlage zwischen den extrem machtvollen Gruppen, die alles daran setzen ihre Machtverhältnisse zu erhalten und denen von unten, die es anders haben wollten. Und diese Gruppen würden nicht kampflos aufgeben. Um hier einzuwirken, müsse man in das Herz des Kapitalismus stoßen, in die Aktiengesellschaften. Denn die Herrschenden werden nicht von sich aus ein neues Gesellschaftsmodell entwickeln,  durch dass sie ihre Macht einbüßen würden. Sharing – Teilen – würde von ihnen sofort okkupiert und ins Gegenteil verkehrt! Google, Amazon, Carsharing wären Beispiele dafür. Das Problem der Postwachstumsbewegung sei es, dass ihr die politische Dimension fehle. Die 70ziger Jahren seien politisch gewesen, die heutige Bewegung ist unpolitisch und würde deshalb vom Kapitalismus vereinnahmt werden. Wichtig sei es deshalb heute auch unkonventionelle Bündnisse zu schließen. Warum sei zum Beispiel Meinhard Miegel vom Denkwerk Zukunft“ nicht auf der Degrowth? Welche Form von Bündnissen könnten möglich sein, um eine andere Form des Wirtschaftens zu finden? Gibt es Unternehmen, die tatsächlich eine andere Form des Wirtschaftens anstrebten und kein Socialwashing betreiben? Auch in der Politik sei nicht viel Bewegung für Postwachstum zu erkennen- nicht einmal bei den Grünen. Wie können sich Resilienzgemeinschaften entwickeln? Können sie die Suffizienz  in die Gesellschaft bringen? Die Postwachstumsbewegung wird von lokalen Kulturen getragen. Die Stärke der Transitionstowns setze auf lokale Kulturen und Resilienzgemeinschaften. Dies kann man auch in Katastrophengebieten beobachten. Die Veränderung muss aus der Zivilgesellschaft heraus geschehen, aus den Communities – nicht von den Unternehmen, nicht von der Politik, nicht von der Wissenschaft.

Weltweit gibt es Postwachstumsbewegungen aus der Zivilgesellschaft heraus, die ein anderes leben, arbeiten, wirtschaften erproben. Ihre Devise: WEV: Widerstand – Experimentieren – Vision anstelle von WeQMore than IQ. Diese zu stärken, sollte unser Ziel als Bürger sein, um der schönen neuen Businesswelt von Ashoka und Peter Spiegel etwas entgegen zu setzen.

Sehenswerte, Mut machende Videos über eine Bewegung von unten:

ALTERNATIBA – eine sich von Frankreich ausbreitende soziale Bewegung

http://www.youtube.com/watch?v=HQzvHN3y36c#t=58

Schluss mit Schnell – ein Filmessay über Menschen, die weltweit aufgebrochen sind, anders zu denken, zu handeln und zu leben

http://www.youtube.com/watch?v=jIKHRjonVaE

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3 Gedanken zu „Schöne neue Social Business – Welt

  1. Van Bo Le-Mentzel

    Hallo Marion

    bei der Degrowth war ich leider nicht, habe daher keinen Vergleich. Sie muss aber sehr intensiv gewesen sein. Nach dem Podium klammerte sich ein Degrowth Teilnehmer an meine Fersen und wollte unbedingt mit mir reden. Er ist Vater einer Patchworkfamilie. Ich habe nur noch einen Joint, und würde ihn gerne mit dir teilen. Ich lehnte dankend ab mit dem Hinweis, dass ich nicht kiffe. Wollen wir noch ein Bier trinken. Ich entgegnete: Sorry, ich trinke keinen Alkohol. Dann begleite ich Dich zur U-Bahn, sagte er und wich nicht von meiner Seite. Er meinte auch, dass er die Business-Typen nicht mehr ertrage. Alle wollen unbedingt was gründen und durchstarten. Als ob Gründen das Lebensziel des Menschen wäre. Ich wäre endlich mal ein „normaler“ Mensch. Das habe ich erst durch Deinen Artikel verstanden. Ich persönlich finde die Idee WeQ interessant, weil es aus einer Wir-Wirtschaft gedacht ist, das heisst: Eine Marke kreieren für eine Wirtschaftshaltung. Die letzten großen Marken hießen Collaborative Consumption oder Shareconomy und davor gab es Kommunismus als eine der stärksten Wirtschaftsmarken oder auch Monetarismus usw. Für mich ist es klar, dass ein wirtschaftler so denkt: Erstmal eine marke schaffen, Themen besetzen und sich abgrenzen und dann wachsen. Das hat viel mit Macht zu tun. Ich bin ja nicht frei davon. Auch meine Crowd wächst auf facebook (die Konstruieren statt Konsumieren-Seite) nähert sich der 20.000 Marke. Und ja, es geht um Macht. Ich gebe es zu. Ich würde gerne irgendwann Gesetze machen. Volksentscheide. Dafür ist eine große crowd unabdingbar. Sehr erfrischend fand ich die Kommentare von Harald Welzer, der mir auch gestand, dass er das neue Buch von Rifkin gelesen hatte. Sein Urteil möchte ich hier in seiner Abwesenheit nicht kundtun. Er war nicht begeistert, sagen wir es so. Auch Dein artikel hier ist sehr erfrischend. Ich dachte schon, warum sich eigentlich keiner darüber wundert, warum wir uns in Allianz forum treffen, und warum Ashoka so enorm präsent war. War das kuratorisch so gewollt, oder eher wirtschaftlich begründet? Dein artikel hat mir bewusst gemacht, dass ashoka ein Sponsor war. aha. Ja, wie sagte Einstein so schön: Wir können die Probleme nicht lösen mit den werkzeugen, die sie verursachen. Von daher fordere ich dich auf, Miriam. Lass uns neue Werkzeuge suchen. Bitte ruf mich an. Wir müssen reden: 015115675026

  2. Felix Oldenburg

    Hi in die Runde,
    freue mich über die Diskussion! Nur eine kleine Richtigstellung: Ashoka ist keine amerikanische „Firma“ (sondern eine globale Nonprofit-Organisation mit 35 Länderorganisationen, die in Indien begonnen hat), und Ashoka ist auch kein finanzieller Sponsor von WeQ, Vision Summit o.ä.
    Herzliche Grüße,
    Felix

  3. Marion Rädisch

    Hallo Felix Oldenburg,

    danke für den Hinweis. Ich korrigiere: Ashoka ist keine Firma, sondern eine globale Non-Profit-Organisation. Da hat mich wahrscheinlich die GmbH im Impressum verwirrt. Auch wenn sie gGmbH heißt, bin ich davon ausgegangen, dass es dann immer noch eine Firma ist ;-). Dass Ashoka in Indien gegründet worden ist, wäre mir neu. Ashoka ist ein indischer, antiker Herrscher, der zum Kriegsgegner und Sozialpolitiker mit hochmodernen Methoden wurde, auf den sich Ashoka-Gründer Bill Drayton bezog. Der Amerikaner Bill Drayton, auch ehemaliger McKinsey Mitarbeiter, hat Ashoka 1980 in Washington D.C. gegründet. Als Idealist schmerzte es ihn sehr, sehen zu müssen, dass auch von vielen seiner Mitarbeiter die Idee, die er hatte, nicht wirklich verstanden worden ist. Der erste Unterstützer für Ashoka in Amerika war die Fa. McKinsey.

    Quelle: http://www.zeit.de/2005/46/P-Drayton

    Ich freue mich aber sehr, dass Ihnen mein Artikel und die Aufmerksamkeit, den er bekommt, gefällt :-).

    Herzliche Grüße, Marion Rädisch

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